Von der Prüfungs-Einrichtung zum Forschungslabor
Die Bezeichnung GORE-TEX hat jeder schon mal gehört – das Material gehört zu den vermutlich bekanntesten Funktionsstoffen, wenn es um wasserdichte Regenklamotten geht. Produziert wird das Funktionsmaterial zum Beispiel in Shenzhen/China, im schottischen Livingston und in Putzbrunn bei München – und unweit von Putzbrunn entfernt befindet sich der Standort, der für uns heute interessant werden wird: das Testlabor im Feldkirchen.
Allerdings ist das Testlabor hier nicht primär zur Überprüfung der Produktion vor Ort gedacht, sondern wird für Textil-Ingenieure und Bekleidungsexperten für Forschung und Entwicklung genutzt – um neue Materialien zu entwickeln und möglichst viele verschiedene Facetten neuer Fabrikate zu testen und zu überprüfen. 1997 war das noch anders, als das Labor eingerichtet wurde. Denn damals fand am Standort Feldkirchen-Westerham noch viel physische Produktion direkt nebenan statt und das Labor war ursprünglich dafür gedacht, die Textilien, die von Lieferanten zur Weiterverarbeitung eintrafen, in der Wareneingangskontrolle zu überprüfen.
War dort alles in Ordnung, konnte die Produktion des Laminats stattfinden. Dass nun nicht mehr in Feldkirchen produziert wird, liegt an der Rentabilität der nur zwei Produktionslinien – allein in Schottland gibt es 12 davon, weswegen in Feldkirchen der Fokus nicht mehr auf die Produktion, sondern mehr auf Entwicklung und Tests gesetzt wird. Und auch deswegen erfüllt das Labor weiterhin einen wichtigen Zweck. Denn auch der fertige Funktionstextilstoff hat noch einige Prüfungen vor sich und auch die fertigen Klamotten möchten im Regenturm überprüft werden. Die Tests finden an verschiedenen Stationen statt und decken alles ab, womit ein Funktionsmaterial so getriezt werden kann – aber dazu später mehr.
GORE-TEX, GOREWEAR – was ist eigentlich was?
So ganz war uns das bis in jüngster Vergangenheit auch nicht vollständig klar – und deswegen möchten wir kurz Licht ins Dunkel bringen, bevor es ins Labor geht.
- W.L. Gore & Associates ist der grundsätzliche Name des Unternehmens, das hauptsächlich die bekannten Membranen für Funktionsbekleidung herstellt. Die produzierten Stoffe verkauft Gore im Anschluss an Lizenzmarken und davon gibt es viele – neben verschiedensten Herstellern von Jacken und Hosen werden entsprechende Laminate in Handschuhen von beispielsweise Roeckl, Reusch oder Dakine eingesetzt, aber auch Schuhmarken wie Meindl, Lowa, Nike oder gar Luxusmarken wie Moncler oder Prada nutzen die Funktionsstoffe in manchen Schuhmodellen. Gore selbst produziert also nur die Stoffe – nicht die Bekleidung.
- GORE-TEX ist der Markenname der eigentlichen Membran, die winddicht, wasserdicht und atmungsaktiv ist – kennt wahrscheinlich jeder von irgendeinem Bekleidungsstück.
- GOREWEAR 1984 haben die radsportbegeisterten GORE-TEX-Ingenieure die erste GORE-TEX-Fahrradjacke unter dem Namen „GIRO“ entwickelt, weil sie es leid waren, dass es bis dato keine wasserdichten und atmungsaktiven Jacken für Radsportler gab. Dies war die Gründung von GOREWEAR, einem Unternehmen, das sich daraufhin spezialisiert hat, Radsportbekleidung für alle Wetterbedingungen anzubieten. Damit ist GOREWEAR quasi interner Kunde von Gore. Genauer gesagt also ebenso eine Lizenzmarke, wie es die oben genannten Marken sind und durchläuft damit sowohl die GORE-TEX spezifischen Materialtests als auch weitere eigene GOREWEAR-spezifische Produkttests.
Kräftiger Landregen im Regenturm
Jede Marke, die Gore-Laminate und das Logo nutzen möchte, muss die Prototypen der Bekleidungsstücke in einem der Regentürme von Gore testen lassen, einer davon steht auch in Feldkirchen und klar ist: Wir haben es uns natürlich nicht nehmen lassen, selbst in den Regenturm zu steigen. Dass Klamotten mit GORE-TEX auch dicht bleiben, liegt dabei in der Verantwortung von Gore, andernfalls gibt es weder den Funktionsstoff noch das Logo-Badge an die Jacke. Einer der wichtigsten Tests findet daher im Regenturm statt. Hier wird nicht auf Robustheit oder Winddichtigkeit – dafür gibt’s eine extra Windkammer – geachtet, sondern rein auf die wasserdichte Konstruktion.
Dafür wird, wenn nicht gerade ein MTB-News-Redakteur ins kühle Nass hüpft, eine Schaufensterpulle mit der entsprechenden Jacke, Hose oder einem anderen zu testenden Bekleidungsstück in den Regenturm gestellt und über einen vordefinierten Zeitraum gnadenlos vollgeregnet. Unter dem Kleidungsstück befindet sich helle Baumwollunterwäsche, die Feuchtigkeit gut aufnimmt und Wasserflecken visuell darstellen kann.
Dabei gibt es nicht nur den „Standard Landregen“ mit einer Wasserdüse von oben, sondern auch etwa eine Stufe für Bergsportbekleidung, bei welcher der Regen nicht nur von oben, sondern auch der Seite kommt. Und motorisiert drehen kann sich das Mannequin zusätzlich um 180°. So wird unter anderem ein Serpentinenmarsch am Berg simuliert, bei dem der Regen von mehreren Seiten kommt.
Ist der Test abgeschlossen, gibt es zwei Optionen: Unterwäsche trocken – Daumen geht hoch. Unterwäsche nass – Daumen geht runter und es wird untersucht, wo der Fehler steckt. Ist Wasser durch die Ärmel eingedrungen? Ist der Frontreißverschluss nicht dicht? Passt die Kapuzenkonstruktion nicht? Liegt es an einem Konstruktionsfehler, muss nachgebessert werden – erst, wenn die Prototypen vollständig dicht sind, werden diese von Gore abgesegnet und dürfen auch nur genau so produziert werden wie das Produkt, das im Regenturm stand.
Von Knautschtest bis Wassersäule – das Gore Lab
Mit etwas nassen Regenklamotten, aber trockener Bekleidung geht es im Gore-Gebäude einen Gang weiter zum Gore Lab. Hier stehen mehr als ein Dutzend Prüfmaschinen, die alle einen unterschiedlichen Job haben. Es wird gerieben, gepustet, geknautscht, gedrückt, gepikst, aufgepumpt oder aufgesogen. Kurz: Alles, was man so mit Textilien machen kann, um sie zu testen oder zu zerstören. Die normierten Testapparaturen werden von externen Prüfinstituten kalibriert und erfüllen überall identische Funktionen – auch in den anderen Gore-Produktionsstätten stehen die gleichen Testmaschinen. Also nehmen wir uns die einzelnen Maschinen mal vor.
Liebling, ich habe die Jacke geschrumpft! Flächengewicht und Schrumpfverhalten
Nicht gerade spektakulär, aber auch nicht unwichtig sind die Apparaturen, mit denen Flächengewicht und Schrumpfverhalten analysiert werden. Für das Flächengewicht wird mit einem Stempel, der mit runden Klingen ausgestattet ist, ein vordefinierter Kreis aus dem zu testenden Material ausgeschnitten und gewogen – anhand einer Formel wird so bestimmt, wie viel der Quadratmeter wiegt. Das für den Lieferanten vordefinierte Gewicht darf maximal 3 % abweichen. Auch das Schrumpfverhalten ist einfach erklärt: Eine Schablone wird auf den Stoff gelegt, die Ecken markiert und der Stoff gewaschen. Befinden sich die Markierungen im Anschluss immer noch an der gleichen Stelle der Schablone – gut. Wenn nicht – schlecht. Den Schrumpf-Prozentsatz kann man mit einem separaten Lineal praktischerweise direkt festlegen.
Keine Flecken, bitte: Abfärben und Farb- und -Schweißechtheit
Diese Apparatur bewegt sich in verschiedene Richtungen, um Abfärben der Textilien der Farben auf darunterliegende Bekleidungsschichten festzustellen. Lösen sich die Farbstoffe? Stichwort: Weiße Socken in dunkelblauen Schuhe oder Denim Jeans. Anhand einer Grauskala wird nach Beendigung des Tests analysiert, ob der Teststoff abgefärbt hat. Gore nennt das „Ausbluten“. Auch Schweiß darf nicht dafür sorgen, dass sich Farben des Stoffs verändern.
Das perlt aber: Der Spray-Test
Einmal duschen, bitte! Hier geht es nicht um die Membran an sich, sondern um die wasserabweisende Imprägnierung des Materials. Dabei wird der Teststoff mit einer genormten Menge an Wasser geduscht und perlt bestenfalls ab. Saugt sich das Obermaterial stattdessen mit Wasser voll, ist das eher ungünstig – zwar bleibt die Membran auch mit nassem Obermaterial dicht, allerdings funktioniert die Atmungsaktivität an der entsprechenden Stelle nicht mehr perfekt.
Ordentlich Wasserdruck: Der Suter-Test
Einer der anschaulichsten Tests ist der der Wasserdichtigkeit: Hier wird ein Stück Laminat eingelegt, festgedrückt und mit viel Druck eine Wassersäule bis zu 10 m erzeugt. Auch hier darf kein Wasser durch das Laminat austreten.
Knautschen, drehen, drücken: Der Crumpleflexer
Beim Crumpleflexer handelt es sich nicht um ein fancy Fitnessgerät – stattdessen wird hier versucht, durch Knautschen und Drehen eine Testmembran zu beschädigen. Simuliert wird hierbei ein Ellbogen – aus dem Dreilagenlaminat wird ein Schlauch genäht, der um 90 % gedreht und zusammengedrückt wird. Ist die Verbindung zwischen den Schichten gut? Bleibt die Membran unbeschädigt? Dann heißt es: Test ok!
Ich machs kaputt! Der Kenmore-Test
Ist es eine Waschmaschine? Jein! Ursprünglich definitiv eine Toploader-Waschmaschine, mittlerweile allerdings wird hier aktiv versucht, Funktionsmaterial im Dauertest zu zerstören. Wie gut ist die Haftung der 2 oder 3 Schichten miteinander? Wie stabil ist die Verklebung? Das versucht die Schraube in der Mitte herauszufinden, die in einem 24h-Waschgang permanent das Textil zu sich zieht und so mechanisch belastet.
Winddichtigkeit im Staubsauger
Luftdurchlässigkeits-Prüfgerät – ein wunderbar deutsches Wort, das allerdings präzise beschreibt, was hier passiert. In diesem Testaufbau, der wie ein Staubsauger die Luft anzieht, tritt ein einlagiger Textilstoff gegen eine Membran an und es wird gemessen, wie viel Luft hindurch gelassen wird. Während durch normalen Stoff die Luft nur so durchpfeift, darf bei einer Membran nur ein stark reduzierter Luftstrom hindurchziehen – ab einem bestimmten Durchlass fühlt sich für den Menschen das Material dann winddicht an.
Atmungsaktivität mit Salzlösung: Der MVTR-Test
In Aktion eher wenig spektakulär (man sieht nichts), ist der Test der Atmungsaktivität doch durchaus wichtig für das letztendliche Produkt. Ausgangspunkt ist ein Wasserbecken mit Halterungen, in die ausgestanzte Produkt-Samples eingelegt werden. Darauf wird über Kopf ein zuvor gewogener Becher mit ungesättigter Salzlösung und verschlossener Membran gestellt. Wie wir wissen, zieht Salz zieht Feuchtigkeit an – und so wird über eine Testdauer von 15 Minuten überprüft, wie viel Wasser durch die Membran und den Stoff in die Salzlösung zieht.
Im Anschluss wird der Becher mit der Salzlösung erneut gewogen, die Differenz in eine Formel eingegeben und so als in „Gramm pro m² in 24h“ der MVTR-Wert bestimmt. Ein offizieller Wert ist dies allerdings noch nicht – der Wert vor Ort ist erst mal für Gore wichtig, ob ein neu entwickeltes Material den Anforderungen entspricht. Die offiziellen Zahlen zur Atmungsaktivität wird vom Kölner Institut Hohenstein gemessen – hier kommt dann der sogenannte RET-Wert (Resistance to Evaporating Heat Transfer) heraus.
Abriebverhalten (Martindale-Test)
Mit der standardisierten Martindale-Methode wird das Abriebverhalten gemessen. Innerhalb von kurzer Zeit wird eine Langzeit-Abnutzung simuliert, indem Textilien über einen normierten Wollstoff gerieben werden. Das ist insbesondere für die Situationen wichtig, in denen Rucksackriemen oder Sättel im Spiel sind. Dies geschieht mit verschiedenen Gewichten, mal trocken, mal nass (wenn es beispielsweise um Laminat für Schuhe geht). Nur bei textilen Oberflächen für Motorradbekleidung spart man sich die Wolle und nimmt direkt Sandpapier – denn sonst würde so ein Test tatsächlich Monate dauern.
Und wie geht es weiter?
Wir hoffen, euch hat der Hausbesuch bis hierhin erst mal gefallen – in einem zweiten Artikel gehen wir noch mal genauer auf Atmungsaktivität, Waschen, Imprägnieren und Co. ein.
Interessant? Hier findest du weitere Hausbesuche und Blicke hinter die Kulissen bei zahlreichen Unternehmen der Bikebranche.
Welcher Test im Lab hat euch am meisten überrascht?
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