Wer mit offenen Augen das Stadtbild betrachtet, wird erkannt haben, dass selbst E-Mountainbikes Teil des urbanen Dschungels geworden sind. Dicke Reifen bringen Sicherheit und Komfort. Das haben auch viele Hersteller erkannt und bieten entsprechende Ausstattungsvarianten an. Allerdings sind gegenüber dem Auto Grenzen gesetzt. Wer seinen Verbrenner durch ein elektrisch angetriebenes Zweirad ersetzen möchte, sollte seine Lebensplanung etwas umgestalten. HNF Nicolai ist die urbane Sparte von Nicolai Mountainbikes und bietet spannende Lösungen an für eine neue Mobilität in der Stadt. Wir haben den Test mit dem dreirädrigen CD1 Cargo von Nicolai Heisenberg gemacht. Bosch-Motor, Automatiknabe, Neigungstechnik, reichlich optionales Zubehör und ein zulässiges Gesamtgewicht von 280 kg machten uns mehr als neugierig. Nachfolgend die Eckdaten und fünf Dinge, die wir im Alltagseinsatz mit dem CD1 Cargo gelernt haben.
Heisenberg – die Idee
Vollmundig beschreibt der Hersteller HNF Nicolai den elektrifizierten, dreirädrigen Lastenschlepper:
Das wendige und kraftvolle CD1 bietet revolutionäres Design und Fahrverhalten. Es vereint die Zuladungsmöglichkeiten eines kleinen KFZ mit der Wendigkeit und Flexibilität eines Fahrrades. Die Verarbeitungsqualität ist auf höchstem Niveau und wie gewohnt werden ausschließlich hochwertige Komponenten verbaut. Sein kraftvoller Bosch-Antrieb ist vollständig in die aufwendige Aluminium-Rahmenstruktur integriert.
Dank der patentierten Neigetechnik bietet das CD1 eine Fahrstabilität, die in dieser Klasse ihresgleichen sucht. Das Fahrwerk erinnert eher an die Aufhängung eines Sportwagens oder Motorrades als an die eines Bikes.
Dass hier beim Aussehen nicht zuviel versprochen wird, wird einem spätestens bei der ersten Ausfahrt mit dem gut 2,5 m langen Cargobike klar. Blicke beim Vorbeifahren und Gespräche im Stand sind einem sicher. Nichts also für schüchterne Gemüter. Besonders die hölzerne Ladefläche, der offen gezeigte Neigemechanismus und die futuristischen Lampen sind ein echter Hingucker. Im Sitzbereich geht es mit Tiefeinstieg und zweckmäßigen Formen dann eher nüchtern zu.
Technische Spezifikationen
Motor: Bosch CX mit 75 Nm Drehmoment
Unterstützung: Bis zu 300 %
Akku: Powerpack 500
Display: Bosch Purion (getestet) – Optionen auf Cobi.Bike Sport, Bosch Intuvia, Bosch Kiox
Bremsen: Tektro mit Blockierfunktion zur sicheren Abstellung
Antrieb: Gates Carbon Drive-Riemenantrieb
Schaltung: Enviolo Automatic
Beleuchtung: Supernova E3
Preis: ab 5.843,87 € | Bikemarkt: HNF CD1 Cargo kaufen
Bei der Grundausstattung legte man bei HNF großen Wert auf Unkompliziertheit. Aufsitzen, anschalten, losfahren, das ist die Devise. Natürlich hat man wie gewohnt noch die Wahl zwischen unterschiedlich starker Unterstützung und man sollte natürlich nicht vergessen, die „Handbremse“ zu lösen. Über einen kleinen Hebel lassen sich die Scheibenbremsen feststellen, wodurch das Bike sicher vorm etwaigen Wegrollen gesichert wird.
Wer schon mal ein dreispuriges Bike gefahren ist, kennt das Kurvenverhalten. Schwungvoll möchte man damit eigentlich keinen Richtungswechsel vollführen. Hier setzt das HNF CD1 Cargo mit seinem cleveren Neigemechanismus an. Ein Daumenhebel entriegelt den Mechanismus und nach aufgenommener Fahrt lässt sich das starre Chassis so in ein dynamisches System verwandeln. Doch dazu später noch mehr.
Angetrieben wird der dreirädrige Hingucker mit einem Bosch-Motor der CX-Klasse mit 75 Nm Drehmoment und bis zu 300 % Unterstützung. Das ist auch notwendig, denn auch ohne Zuladung bringt das Bike fast 50 kg auf die Waage. Anfahren und überwinden von mehr als nur ein paar Höhenmetern ohne Motorunterstützung benötigt fordert schon ordentlich Druck in den Beinen. Mit Motor erleichtert man sich dies natürlich und der wird für insgesamt 500 Wattstunden gespeist.
Eine Schaltung sucht man am Riemenantrieb vergeblich. Alle Gänge sind sauber in der wartungsfreien Enviolo Automatic-Hinterradnabe gekapselt. Bedient werden sie über einen Drehgriff am Lenker. Hier hat man zusätzlich die Option zwischen Kadenz und stufenloser Gangwahl. In der Praxis stellt man so die gewünschte Tretfrequenz ein und der passende Gang dazu wird automatisch gewählt. Los fährt man immer im leichtesten Gang.
Wer nicht jede Ladung auf der niedrigen Ladefläche verzurren möchte, hat diverse Optionen mit simplem Korb, abschließbarer Kiste, Sortimo-Handwerkerkit oder Thule-Kindertransporter. Alle Varianten finden dabei Halt über das standardisierte Schienensystem.
Wer optisch schon abgeschätzt hat, ob vielleicht sogar eine Europalette passen würde, der wird auch bei der großen Version des CD1 an Grenzen stoßen. Immerhin 680 x 650 mm Grundfläche stehen zur Verfügung, und wer kreativ nach vorne hinausstapelt, kann die Kapazität noch etwas ausreizen.
5 Punkte über das CD1 Cargo
Punkt #1: Fahreigenschaft eines Lastenrades mit Neigetechnik
Wer das erste Mal auf einem Lastenrad unterwegs ist, wird überrascht sein, dass das dann doch sehr viel Fahrrad ist. Vergleichbar ist das vielleicht am besten mit der ersten Fahrt in einem Lieferwagen, nachdem man seinen Führerschein gerade erst gemacht hat. Vorteil am Lastenrad: Die Rundumsicht ist deutlich besser. Die Eingewöhnung am HNF CD1 Cargo wird einem geübten Radler aber leicht gemacht. Im Stand ist der Neigemechanismus zuerst gesperrt. Man kann mit beiden Füßen auf den Pedalen stehen und das Lastenrad kann dennoch nicht umkippen. Besonders eher zaghaften Zeitgenossen macht dieses System den Einstieg leichter.
Hat man ein paar Pedalumdrehungen und Meter hinter sich gebracht, betätigt man auf der linken Seite des Lenkers einen Daumenhebel und mit einem lauten KLONK wird aus einem starren – in Kurven störrischen – Dreirad ein sehr dynamisches System. Einlenken bedeutet dabei nicht zwangsläufig eine Neigung des Lastenrades. Löst man sich von der Vorstellung, ein 2,5 Meter langes Lastenrad zu fahren und nutzt den Körper wie auf einem regulären Fahrrad, um sich in die Kurve zu legen, so folgt das CD1 Cargo wie von Geisterhand in einer flüssigen Bewegung.
Wir haben den Test gemacht und verschiedenste Charaktere das System ausprobieren lassen. Es zeigte sich, dass eher ängstliche und vorsichtige Zeitgenossen besser erstmal auf einem großen (und leeren) Parkplatz üben sollten. Je mehr Dynamik und Geschwindigkeit dazukommt, desto leichter lässt sich das System navigieren. Verlangsamt man die Fahrt, so kann man das Neigesystem blockieren, um beim nächsten Losfahren – zum Beispiel an einer Ampel – weniger Stabilisierungsaufwand zu haben. Hierfür muss man mindestens einen Fuß vom Pedal nehmen und eine Fußraste unterhalb des Einstiegs nach unten drücken. Eine Feder wird vorgespannt und sobald das CD1 (auch während der Fahrt) vertikal ausgerichtet ist, rastet der Neigemechanismus ein.
Klingt in der Theorie abschreckend? Wer sonst ein geübter Fahrradfahrer mit guter Balance ist, wird sich schnell an den Ablauf gewöhnen. Für Neueinsteiger war eine gewisse Zeit notwendig, um das Timing beim Umschalten einzuüben.
Punkt #2: Täglicher Straßenverkehr
Regelmäßige Pendler per Velo kennen die Situation auf der Straße. Wo der Ausbau von Fahrrad-Infrastruktur fehlt, ist leider immer noch der Konkurrenzkampf um den Platz auf dem Asphalt spürbar. Hier braucht es ein etwas dickeres Fell, um sich nicht von den auffahrenden Autos aus der Ruhe bringen zu lassen. In der Ebene lässt sich das CD1 Cargo souverän an die 30 km/h bewegen, auch wenn der Motor nach 25 km/h die Unterstützung zurückfährt. Gilt es, bergauf – vielleicht auch mit Zuladung – Höhenmeter zu gewinnen, kann die Geschwindigkeit schnell unter 20 km/h fallen. Brenzlige Situationen mit rüpeligen Zeitgenossen, die beim Überholen den Sicherheitsabstand von 1,5 Meter nicht einhalten, kann man natürlich nicht dem Lastenrad ankreiden.
Wir haben im Testzeitraum sehr viel Zeit mit der Diskussion der aktuellen Gesetzeslage zu Unterstützung und Leistung von E-Bikes und Pedelecs verbracht. Wünschenswert wäre deutlich mehr erlaubte Power für die Kategorie Lastenrad, um zumindest in 30er Zonen besser mit dem Verkehr mitfließen zu können, ohne dabei von Radwegen ausgesperrt zu werden.
Punkt #3: Transportmöglichkeiten
Neben der abschließbaren Metallbox aus dem Hause Sortimo, haben wir das CD1 Cargo auch mit dem Transportkorb und mit blanker Ladefläche in Kombination mit Zurrgurten verwendet. Je nach Art der primären Anwendung sollte man sich im Vorfeld Gedanken machen, wie man das Lastenrad einsetzen möchte. Alle drei Varianten bieten dabei spezifische Vor- und Nachteile. Ein Umbau ist zwar relativ zeitunaufwändig, aber im Alltag dann doch etwas weniger praktikabel.
Korb mit Abdeckung
Wir begannen unsere Testwochen mit dem simplen Korbaufsatz. Dieser wird über das seitlich auf der Ladefläche eingelassene Schienensystem und eine Klemmkammer mit dem CD1 Cargo verbunden. Leicht, wind- und wasserdurchlässig stellt er, neben Eigenbauten, die günstigste Variante dar, um schnell und einfach Einkäufe oder sonstiges Transportgut zu verstauen. Wer etwas mehr Schutz vor den Elementen oder neugierigen Blicken auf den Inhalt haben möchte, kann auf die spezielle PVC-Plane zurückgreifen. Auffällig blau, mit Reflektorstreifen und Reißverschlüssen versehen, erhöht sie nicht nur die Sichtbarkeit des Vehikels im Straßenverkehr: Regen und Spritzwasser blieb trotz der zur Ladefläche offenen Konstruktion selbst bei gröbstem Sauwetter zuverlässig draußen.
Die Ladeöffnung des Covers fällt etwas schmaler aus als die Gesamtbreite des Korbs. Wer also überstehende oder lange Objekte transportieren möchte, muss gegebenenfalls das Cover entfernen. Wegen seiner genauen Passform (655 x 666 x 486 mm) sitzt es, durch einen Reißverschluss gesichert, sauber und fest auf dem Korb und kann dennoch leicht und schnell entfernt beziehungsweise angebracht werden. Einen Diebstahlschutz für den Korbinhalt bietet es nur nach dem Prinzip der Unsichtbarkeit. Wer das Rad dennoch außer Sichtweite mit Korbinhalt stehen lassen möchte, kann mit kleinen Schlössern, wie sie für Reisekoffer Verwendung finden, zumindest den Zugriff auf den Inhalt erschweren.
Cargo-Unit Toploader
Wer die Einkäufe oder die transportierten Waren auch sicher wissen möchte, wenn man mal nicht in der Nähe des Lastenrades ist, kann über eine abschließbare Box nachdenken. Die Kiste aus Metall bietet aber nicht nur Schutz vor Langfingern, sondern auch souveränen Schutz vor Regen, Schnee und Spritzwasser. Beladen wird – wie der Name schon sagt – direkt von oben, wobei der Deckel durch Gasdruckfedern offen gehalten wird. Wer nur Kleinigkeiten oder eine Einkaufstüte verstauen möchte, sollte das Transportgut am besten fixieren. In der Kiste selbst könnte es sonst bei schneller Kurvenfahrt verrutschen.
Bieten die Stadt und die Region, in der das CD1 Cargo bewegt wird, fortschrittliche Infrastruktur, so lassen sich fast alle Besorgungen des täglichen Lebens erledigen. Um hier die Grenzen auszuloten, nahm das Dreirad von HNF auch an einem Umzug teil. Bilder sagen mehr als tausend Worte. Es war durchaus beeindruckend.
Punkt #4: Reicht die Reichweite?
Die Reichweite von Fahrrädern mit Elektromotor ist ein heiß diskutiertes Thema. Denn nicht nur die Unterstützung und die aufgestiegenenen Höhenmeter, sondern auch das Fahrergewicht und die Kadenz spielen eine wichtige Rolle für die letztendliche Gesamtfahrleistung. Beim Lastenrad wird diese Rechnung nochmal komplexer, denn die Zuladung wird zum zusätzlichen Faktor. Ein Gesamtgewicht von insgesamt 280 kg am HNF CD1 macht es zum echten (Schwer-)Lastträger unter den Cargobikes.
500 Wattstunden wurden bei einem kombinierten (unbeladenen) Bike- und Fahrergewicht von knapp 150 kg im Stop- und Go-Verkehr der City und hügeliger Landschaft im Testbetrieb etwas knapp. Wer täglich mehrere Fahrten erledigen möchte und dabei keine Zwischen-Akkuladungen einplanen kann, der sollte sich einen zweiten 500-Wh-Speicher anschaffen.
Punkt #5: Auto versus Cargobike
Ein VW Up ist verglichen mit unserem Testbike mit der großen Ladefläche gut einen Meter länger und mehr als doppelt so breit. Der Smart ForTwo ist nur gut 20 cm länger, aber auch doppelt so breit. Soweit die Gegenüberstellung zu zwei kleinen Kraftfahrzeugen. Ein HNF CD1-Lastenrad ist also deutlich platzsparender als ein Auto. Dennoch braucht es einen Abstellplatz am Fahrradständer oder in einer Garage. Trageaktionen in die Wohnung oder das Kellerabteil, wie mit einem leichten City-Renner, sind natürlich nicht ohne weiteres machbar. Wer zur Miete wohnt und/oder keine Abstellmöglichkeit auf dem eigenen Grundstück hat, sollte dies bedenken. Schutz findet das CD1 im freien unter eine optionalen Abdeckplane.
Das ist uns aufgefallen
- Komfortgewinn: Gehweg hoch. Gehweg runter. Wer seine Sitzzone und den Rücken etwas schonen möchte, sollte über eine gefederte Sattelstütze nachdenken. Altbacken? Vielleicht, aber da man nicht immer sieht, durch welche Schlaglöcher man gerade navigiert oder diese nur mit dem Hinterrad erwischt, wird eine solche Unebenheit direkt durchgereicht. Eine Cane Creek Thudbuster ist ihren Aufpreis auf jeden Fall Wert.
- Ladefläche: Ansprüche an die Ladezone sind so unterschiedlich wie beim Auto auch. Wer gerne mal etwas Sperriges oder Langes transportieren möchte, wird eher mit einer Custom-Lösung glücklich. Der optionale Korb und die Toploader-Kiste ab Werk bieten ein Ladekonzept wie beim Einkaufswagen: einfach reinwerfen.
- Motor-Leistung und Batterie-Kapazität: Eigengewicht und Zuladung fressen Leistung und Energie. Wer ein Auto ganz ersetzen und weitere Strecken fahren, mehr Höhenmeter und auch entsprechende Zuladung transportieren möchte, sollte auf jeden Fall einen zweiten Akku dabei haben. Für steile Straßen wünscht man sich auch etwas mehr Motorpower.
- Lichtanlage: Die Heckleuchte ist gut geschützt ins solide Schutzblech integriert. An der Front sorgen die beiden Leuchten oberhalb der Vorderräder für eine gute Ausleuchtung wie auch für Kurvenlicht. Wer nach vorne hinaus Transportgut auflädt sollte aber aufpassen, hier keine Kollision zu provozieren.
- Automatiknabe und Riemenantrieb: Simpel und funktionell nimmt einem die Enviolo Automatic die Gangwahl ab. Man kann sich voll und ganz auf’s reine Fahren konzentrieren.
Das HNF CD1 Cargo ist ein Brückentier zur modernen Mobilität in einer modernen Stadt. Schwächen leistet es sich weniger bei der Performance als in der Erfüllung gesetzlicher Normen zur Motorleistung und Unterstützung. Unterschiedliche Möglichkeiten, die Ladefläche zu gestalten, eröffnen einer Vielzahl an Nutzern ein auf ihre Anforderungen zugeschnittenes Fahrzeug. Wer seine Fahrten und Transporte zu planen weiß und eine Abstellmöglichkeit hat, der wird das City-Auto gerne stehen und sich den Wind um die Nase wehen lassen.
Pro / Contra
Stärken
- Hohe Ladekapazität
- Komplett StVO-konform
- Erstaunlich kurzer Bremsweg
- Lichtanlage mit Kurvenlicht
Schwächen
- Fahrdynamik erfordert etwas Übung
- Platzbedarf beim Abstellen
- Unterstützung für den Verkehrsfluss auf der Straße zu gering
Seht ihr ein Lastenrad als echte Alternative zum Auto?