Bike Biz Backstage – Juni/Juli 2022 Übernahmen, Kooperationen und mehr – von Accell bis Specialized

Ambitionierter Newcomer mit Europa-Zentrale in Nürnberg

Erst 2017 gegründet, hat der chinesische Antriebshersteller Mivice ambitionierte Pläne. Das Portfolio des Unternehmens umfasst Mittel- wie Nabenmotoren, Displays sowie andere Komponenten rund ums E-Bike. Um die Wege für europäische Kunden zu verkürzen und die Kommunikation zu vereinfachen, hat Mivice nun mit der Mivice Europe GmbH eine Europazentrale in Nürnberg eröffnet. Für den Aufbau des Teams in dieser Zentrale und der entsprechenden Strukturen konnten die Chinesen den erfahrenen Branchenprofi Horst Schuster als CEO gewinnen. Dieser leitete auch schon die Pedelec-Abteilung von Brose.

Für die Kommunikation nach außen ist ebenfalls ein bekannter Name zuständig: Marketing Director Steffen Krill hat in den vergangenen Jahren die baskische Marke BH Bikes im DACH-Raum etabliert und stand zuvor in Diensten der Schweizer Hersteller BMC und Stromer.

Start-up aus China mit großen Plänen

Ein weiterer, chinesischer Hersteller von Hilfsantrieben mit hohen Ambitionen ist Okawa. Dieses Start-up wurde erst 2020 gegründet, und mit Yadea ist ein großer Anbieter von E-Bikes einer der wichtigsten Anteilseigner. Um das Europa-Geschäft in Gang zu bringen, hat sich Okawa das Fachwissen von Jack Brandsen gesichert, der zuvor Bafang in Europa zu einer starken Marke gemacht hat. Laut Europa-Geschäftsführer Brandsen will sich Okawa durch ein konsequentes Service-Management, eine durchgängige Recycling-Strategie und langlebige Produkte von etablierten Mitbewerbern abheben und sich so einen Weg in den ebenso lukrativen wie umkämpften Erstausrüstungsmarkt bahnen.

Zudem soll etwa beim Akku der Gebrauch und nicht der Besitz über ein Abomodell bezahlt werden. Ein Vorzeigeprodukt von Okawa ist der Mittelmotor „AT60“, der mit einem maximalen Drehmoment von kernigen 100 Nm glänzt und in dessen Gehäuse zusätzlich ein Viergang-Getriebe mit einer Bandbreite von 240 Prozent steckt.

Übernahme der Accell Group in trockenen Tüchern

Auf der Zielgeraden geriet bei der geplanten Übernahme der Accell Group durch ein Bieterkonsortium um das US-Investitionsunternehmen Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) nochmals Sand ins Getriebe. Nachdem ein Börsenfachmann die vorliegende Offerte von EUR 58.- pro Aktie als angesichts des Wachstumspotenzials des Unternehmens zu tief bezeichnet und eine Nachbesserung auf EUR 70.- gefordert hatte, stellten sich einige Aktionäre quer. Darum wurde das angestrebte Quorum von 80 Prozent der Aktien bis Anfang Juli um einige Prozent verfehlt.

In der Folge verlängerte KKR die Frist nochmals und verhandelte hinter den Kulissen intensiv. Dies hatte Erfolg, denn bis Ende Juni hielten die Bieter 97 Prozent der Aktien, womit die Übernahme zustande kommen dürfte. Die neuen Eigentümer haben angekündigt, die Accell Group von der Börse nehmen zu wollen.

Porsche übernimmt Fazua ganz

Als Porsche Mitte Februar 20 Prozent der Aktien des Münchner Antriebsherstellers Fazua übernahm, sicherte sich der Sportwagenhersteller auch ein Vorkaufsrecht für die übrigen Aktien. Nur vier Monate später machte Porsche von diesem Recht Gebrauch und übernahm Fazua komplett. Damit baut die Porsche AG ihr Engagement in Sachen Fahrrad weiter aus und rüstet sich so für die Verkehrswende. Im vergangenen Jahr hatten die Zuffenhausener zusammen mit Storck Cycles bereits die Pedelec-Marke Cyklaer lanciert und den kroatischen E-Bike-Hersteller Greyp übernommen. Zudem wurden mit einem Ableger von PON.Bike zwei Joint Ventures zur Entwicklung von Pedelecs und von Gefährten für die E-Mikromobilität.

Fox Racing neu Teil von Vista Outdoor

Im Mai hatte Vista Outdoor angekündigt, das kontroverse Geschäft mit Munition und Schusswaffen vom Geschäft mit Outdoor-Artikeln zu trennen. Anfang Juli überraschte der Konzern, unter dessen Dach 39 Marken und Anbieter wie Giro, Bell Helmets, Camelbak und Blackburn operieren, mit einer weiteren Übernahme: Für USD 540 Millionen wechselt Fox Racing als Anbieter von Schutzausrüstung und Bekleidung für Motocross, BMX und Mountainbiken vom Privatinvestoren Altamont Capital Partners unter das Konzerndach von Vista Outdoor. Der Besitzerwechsel gilt per sofort und soll bis zum zweiten Quartal des kommenden Jahres abgeschlossen werden. Für 2022 erwartet Fox Racing einen Umsatz von USD 350 Millionen und einen Bruttogewinn von USD 55 Millionen. Das Management um CEO Jeffrey McGuane wird von den neuen Eigentümern beibehalten.

Auch Stan’s NoTubes in neuem Besitz

Im Zuge einer Nachfolgeregelung wechselt auch der Laufrad- und Tubeless-Spezialist Stan’s NoTubes den Besitzer. Weil sich die beiden Gründer Stan und Cindy Koziatek nach 21 Jahren aus dem Geschäft zurückziehen, wurde ein Käufer gesucht. Und mit Zabel Companies gefunden. Dieses Unternehmen aus North Carolina besitzt ein breit gefächertes Portfolio markenorientierter Unternehmen in einer Vielzahl von Branchen und ist dafür bekannt, einen Schwerpunkt auf nachhaltiges, langfristiges Wachstum, den Aufbau starker Marken und dem Erhalt von Angestellten und Unternehmenskulturen zu legen. Als aktueller Geschäftsführer von Stan’s NoTubes wird Mike Bush auch unter den neuen Eigentümern an der Spitze des Unternehmens stehen.

Specialized übernimmt Denk Engineering

Freiburg im Breisgau stärkt die Rolle als Entwicklungszentrum für sportliche Fahrräder. Cannondale betreibt hier schon länger ein Büro, DT Swiss zog vergangenes Jahr mit der Übernahme von Trickstuff nach, nun folgt Specialized: Die Amerikaner übernehmen das 1990 gegründete Entwicklungsbüro Denk Engineering, das seit 2014 exklusiv für sie tätig ist. Mit dieser Übernahme wechselt der Name zu Specialized Freiburg Innovation Center. Dieses Innovationszentrum soll die Tätigkeiten des Entwicklungszentrums in Cham, Schweiz ergänzen und so die Rolle des Unternehmens als Innovationsführer in der Industrie weiter festigen. Im Rahmen des Zusammenschlusses wird die Geschäftsführung der Denk Engineering GmbH um den Specialized-Spitzenmanager Joseph Michael Tiller erweitert.

Vittoria investiert in Europa

Der italienische Reifenhersteller Vittoria sorgte in den vergangenen Wochen gleich zweimal für Schlagzeilen. Anfang Juni wurde im niederländischen Oldenzaal, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Deutschland entfernt, ein neues Hauptquartier für Nordeuropa eingerichtet. Dieses soll die Wege für wichtige Märkte wie Deutschland und die Niederlande verkürzen und teilt sich das neu erstellte, energieeffiziente Gebäude mit dem Schlauchreifen-Spezialisten A. Dugast, der im Mai 2021 unter das Konzerndach von Vittoria geschlüpft war. A. Dugast fertigt in Oldenzaal auch in Handarbeit Schlauchreifen. Ende Juni wurde dann bekannt, dass mit Deaneasy der Zulieferer der Airliner-Schutzeinlagen unter das Konzerndach schlüpft. Vittoria will so die Lieferkette absichern und plant darum auch, die Fertigung der Schaumstoffringe von Fernost nach Europa zu verlagern.

Auch Clif Bar und Primaloft in neuem Besitz

Mit dem Sportriegel-Hersteller Clif Bar und Primaloft als Spezialisten für synthetische Isolationsmaterialien haben zwei weitere Unternehmen mit Bezug zur Fahrradbranche im Juni den Besitzer gewechselt. Im Fall von Clif Bar legt Mondelez International als einer der umsatzstärksten Anbieter von Riegeln und Snacks den stolzen Betrag von USD 2.9 Milliarden hin. Etwas kleiner ist mit USD 530 Millionen der Betrag, für den Compass Diversified die Marke Primaloft übernimmt und damit das Sportbekleidungs-Portfolio weiter ausbaut.

Konsumklima erreicht neuen Tiefststand

Nachdem sich die Konsumentenstimmung im Monat Mai leicht erholt hatte, erreichte sie im Juni laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) einen neuen Tiefpunkt seit Beginn der Erhebung dieser Daten für Gesamtdeutschland im Jahr 1991. Die wichtigsten Faktoren sind dabei Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Teuerung, die durch gestörte Lieferketten und hohe Preise für Treibstoffe nochmals verstärkt wurde. Gegensteuer muss die Europäische Zentralbank geben, indem sie von der extrem lockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre abrückt. Sollte die Zentralbank die Leitzinsen aber zu stark anheben, droht zusätzlich auch noch eine Rezession.

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