Wir sind in Lille, einer französischen Großstadt an der Grenze zu Belgien, die direkt an das Radsportmekka Roubaix angrenzt. Hier, im „B’Twin Village“, befindet sich das Herz der Radsportabteilung von Decathlon. Alle Decathlon-Entwicklungsbüros rund ums Rad sind hier angesiedelt, und das aus gutem Grund.
Zum einen ist es zum Mountainbiken wohl etwas zu flach, zum anderen wird Lille, direkt an der Grenze zu Belgien gelegen, auch „Hauptstadt Flanderns“ genannt – wohlgemerkt des französischen Teils. Aber egal, auf welcher Seite der Grenze: In Sachen Rennrad hat Flandern, ebenso wie die direkt an Lille angrenzende Stadt Roubaix, bekanntlich einiges zu bieten. Nicht umsonst heißt die hauseigene Rennradmarke Van Rysel aus dem Flämischen übersetzt „aus Lille“. In eineinhalb ereignisreichen Tagen bekamen wir im Frühjahr dieses Jahres einen tiefen Einblick, wie Decathlon Fahrräder entwickelt und produziert – und warum mit dem französischen Multisportriesen in naher Zukunft wohl zu rechnen sein wird. Hier ist der Hausbesuch!
Decathlon statt Sportmarché
Wir schreiben das Jahr 1976 und Michel Leclerq hat einen Plan. Zusammen mit einer Handvoll Freunden will er ein Geschäft für alle Sportarten gründen – alles unter einem Dach. Im Sommer 76 ist es so weit: In Englos, in der Nähe von Lille, wird die erste Decathlon-Filiale eröffnet. Der Name Decathlon kommt nicht von ungefähr: Waren im Vorfeld auch die Vorschläge „Pentathlon“, „Triathlon“ oder „Sportland“ im Rennen, wurde es schließlich der Name für den Zehnkampf. Passte irgendwie auch am besten, denn praktischerweise wurden anfangs genau zehn Sportarten bei Decathlon angeboten.
Das Angebot wuchs schnell: Bald gab es Produkte für 100 Sportarten von verschiedenen Herstellern, Eigenmarken spielten indes damals noch keine Rolle. Genau zehn Jahre später startete das Unternehmen in Deutschland. Die erste deutsche Filiale eröffnete in Dortmund-Kley, im gleichen Jahr wurde die erste Eigenmarke entwickelt – mit einem Fahrrad. Inzwischen gibt es 1.750 Filialen in 59 Ländern; allein in Deutschland arbeiten 5.520 Menschen in 85 Decathlon-Filialen. Apropos: Deutschland ist nach Frankreich eines der wichtigsten Länder für den Sportriesen, wenn es um Fahrräder geht.
Flugplatz, Tabakfabrik, B’Twin Village: Das Gelände, auf dem heute das Decathlon-Fahrrad-Zentrum steht, hat eine bewegte Vergangenheit. Doch was genau ist das B’Twin Village? Ein „Ort, an dem Sport, Industrie und Geselligkeit harmonisch miteinander verbunden sind“, so beschreibt es Decathlon selbst. Und auch wenn das Dorf heute etwas mehr auf Multisport ausgerichtet ist, so bleibt es doch der Mittelpunkt der Fahrradentwicklung von Decathlon.
B’Twin Village ist nicht das einzige Decathlon-Sportzentrum – es gibt viele andere Zentren, die sich auf Freizeit- und Leistungssport konzentrieren, in denen Produkte entwickelt und getestet werden, in denen Amateure und Profis aktiv sind und perfekte Bedingungen für die jeweilige Sportart herrschen. Und Frankreich ist als Standort insgesamt ziemlich praktisch – denn hier gibt es raues Meer (Norden) und entspanntes Meer (Süden), hohe Berge mit und ohne Schnee (Alpen), urbane Gegenden en masse und natürlich alles dazwischen. Kurzum: Perfekt für Decathlon, um das Land mit Stützpunkten auszustatten. Beispiele?
Da gibt es den Campus für urbanen Sport in Lille, das Decathlon Arena Pierre Mauroy Stadium für Mannschaftssportarten, ebenfalls in Lille, den Decathlon Marcq-en-Baroeul Inesis Golf Park nördlich von Lille für die hauseigene Golflinie Inesis, den Bergsport in den französischen Alpen in Chamonix, eine Wassersportstation in Hendaye und einen Standort in La Rochelle am Atlantik für alles rund um den Decathlon-Segelsport. In der Nähe von Bordeaux, in Cestas, gibt es außerdem ein Zentrum für die Sparten Natur, Angeln und Jagd.
B’Twin Village – das Dorf
Es ist ein grauer, etwas kühler Februartag, als wir bei Decathlon in der Nähe von Lille ankommen. Ich komme mit dem Fahrrad, fahre durch das große Eingangstor für Fahrräder, vorbei an einem Skatepark, einem Pumptrack und einer Mountainbikestrecke, bis ich das Gebäude erreiche. Und das Erste, was ich hier von außen sehe, sind schwitzende Menschen hinter Glasscheiben – sie trainieren im hauseigenen Domyos-Fitnesscenter.
Fitnesscenter? Richtig – das B’Twin Village beherbergt nicht nur die Fahrradabteilung, sondern noch vieles mehr. Denn anders als bei einem normalen Fahrradhersteller, in dessen Firmengebäude man als normaler Besucher meist schon am Empfang scheitert, ist der öffentliche Teil des Village täglich von 10 bis mindestens 19 Uhr geöffnet – für jedermann. Und es gibt viel zu entdecken, wir werfen mal einen Blick hinein.
Innenbereich
Der B’Twin Park ist ein zweiteiliger Fahrradparcours auf 4.200 Quadratmetern. Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren und von 5 bis 8 Jahren haben hier die Möglichkeit, ihr Kinder-Mountainbike kennen zu lernen, Kurven zu fahren und spielerisch den Umgang mit dem Bike zu erlernen. Kleine Rampen im hinteren Teil des Village bieten zusammen mit dem Fahrradverleih weitere Möglichkeiten, dem Nachwuchs den Einstieg und das erste Training zu erleichtern. Im Indoor Skatepark, der etwas weiter hinten liegt, finden sich Tables, Curbs, Pyramiden, Rails und vieles mehr – allerdings ausschließlich für Skateboarder.
Weitere Sportmöglichkeiten bieten „Le Shaft“, eine Indoor-Anlage für Badminton und Padel, eine angeschlossene After Sports Bar, ein riesiger hauseigener Domyos Fitnessclub, ein Indoor-Freizeitpark für Kinder namens „L’Ile de Tortuga“ (kostenpflichtig), ein Medical Center, Coworking Spaces, eine Bikewash-Station und vieles mehr. Man könnte fast sagen: Hier hat sich jemand Gedanken gemacht.
Außenbereich
Vor dem Gebäude wird es noch interessanter. Hier gibt es verschiedene Parcours: Ein riesiger Asphalt-Pumptrack von BikeSolution ist ebenso dabei wie der MOBI’LUDIC-TRACK, ein Parcours zum Erlernen der Verkehrsregeln mit einem Mini-Pumptrack und anderen Elementen. Nebenan geht es ebenso sportlich weiter: Direkt neben dem Pumptrack befindet sich ein traumhafter Betonskatepark mit tiefem Skatepool, außerdem gibt es einen Geschicklichkeitsparcours für Mountainbikes. Ob drinnen oder draußen: Die Nutzung aller Strecken ist kostenlos und für alle Besucher während der Öffnungszeiten frei zugänglich. Doch genug vom Gebäude an sich – viel spannender ist, was sich hinter der großen grauen Tür verbirgt, die nur mit einer Mitarbeiter-Chipkarte betreten werden kann. Gabin de Meyer hat eine – praktisch: Wir gehen rein!
Monster: Entwicklung bei Decathlon
Die Prototypen von Neuentwicklungen heißen bei Decathlon schlicht „Monster“ – in Anlehnung an Frankensteins Monster. Denn um einen ersten Eindruck von einem Produkt zu bekommen, wird es aus allen möglichen Komponenten zusammengebastelt, die mit dem Endergebnis nicht viel zu tun haben. Neben all den 3D-Modellen und dergleichen (davon später mehr) hat man mit so einer Monstrosität ein erstes brauchbares Produkt, mit dem man testen kann, ob das alles funktioniert.
Die Fahrradabteilung von Decathlon ist in vier große Gruppen unterteilt: Mountainbike, Rennrad, Trekking & Gravel sowie Urban & City. Alle Fahrradsparten haben eines gemeinsam: Sie bieten mehr oder weniger ein Vollsortiment. Zum neuen Gravelbike gibt es die passenden Packtaschen, zum neuen Rockrider MTB gibt es natürlich auch den passenden Rockrider Helm (Rockrider Feel MTB-Helm Test) oder die passende Hose und auch Rennradfans kommen nicht nur fahrradtechnisch, sondern auch in Sachen Funktionsbekleidung auf ihre Kosten – mit dem Team Cofidis wird bereits eine Tour de France-Equipe mit Van Rysel-Bekleidung ausgestattet.
Für jede Radsportart bei Decathlon gibt es unabhängige Teams, die sich jeweils auf eine dieser Sportarten spezialisiert haben. Insbesondere im Bereich der Stadträder gibt es vier Hauptkategorien, die unterschiedliche Bedürfnisse und Vorlieben der Radfahrer ansprechen. Dazu gehören City Classic, Long Distance Bikes, City Speed (sowohl elektrisch als auch nicht elektrisch) sowie Cargo Bikes. In naher Zukunft will Decathlon sein Angebot um mehrere Lastenräder, insbesondere Longtail-Modelle, erweitern. Dies zeigt durchaus den Fokus auf nachhaltige Mobilität und die steigende Nachfrage nach praktischen Transportlösungen in urbanen Gebieten.
Um eine effiziente Entwicklung und Produktion dieser unterschiedlichen Fahrradkategorien zu gewährleisten, hat das Unternehmen eine Organisationsstruktur aufgebaut, die auf Business Units basiert. In jeder Business Unit arbeiten Produktentwickler und Ingenieure eng zusammen, um entsprechende innovative Fahrradkonzepte und -technologien zu entwickeln. Produktmanager, Produktionsingenieure und Designer gehören ebenso dazu wie eine Prototypenwerkstatt und Spezialisten für Komponenten – das alles stellen wir euch im Verlauf dieses Hausbesuchs noch vor.
Die eigenen Decathlon-Komponenten werden daher nicht zwingend zugekauft, sondern überwiegend selbst entwickelt: Dazu gehört etwa die hauseigene Sattelsparte ebenso wie Gepäckträger für den Citybereich, Federgabeln, Motoren – selbst die Akku-Batterien, für die Zellen von Samsung zugekauft werden, werden selbst entwickelt. Kleine Fußnote zum Schluss: Jedes Produkt, das in der hauseigenen Kundenbewertung mit 3,5 oder weniger Sternen abschneidet, wird nach einer gewissen Zeit aussortiert und komplett überarbeitet.
Entwickeln, testen, noch mehr Monster
Von den verschiedenen Entwicklungsteams sprachen wir schon. Bei Decathlon wird aber nicht nur entwickelt, sondern auch viel ausprobiert, verworfen, neu designt und es werden auch mal unkonventionelle Wege gegangen – in den Fotos begegnen euch gleich einige skurrile Entwicklungen.
Bei unserem Rundgang durch das Unternehmen kommen wir nicht nur an verschiedenen Entwicklungsbüros vorbei, sondern können auch einige Exponate sehen, die in den letzten Jahren entweder Preise gewonnen oder verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen haben. Besonders fällt uns ein Kinderfahrrad in Erwachsenengröße auf. Warum es sowas überhaupt gibt, erklärte uns Frederic Jung, Produktmanager Decathlon. Er demonstriert am Rad, warum einige Teile größer sind als gewohnt: Die Bremsgriffe zum Beispiel sind eine Eigenentwicklung, um möglichst wenig Handkraft zu benötigen. Damit man als Erwachsener nachvollziehen kann, wie diese Griffe funktionieren, wurden kurze Griffe oder andere Teile an ein überdimensioniertes Kinderfahrrad montiert. So können auch Erwachsene nachempfinden, wie gut sich ein Kind auf dem Fahrrad bewegen kann und ob in diesem Fall die Handkraft ausreicht, um den Bremshebel sinnvoll zu betätigen.
Add Lab Prototypenwerkstatt
Ebenso spannend wie geheimnisvoll ist die Prototypenwerkstatt, auch Add Lab genannt. Das geheime 3D-Druck-Paradies liegt am Ende eines unscheinbaren Ganges und ist der einzige Bereich, in dem wir nicht, also wirklich nicht, fotografieren dürfen. Denn im Gegensatz zu den Prototypen und Produkten, die überall herumstehen und präsentiert werden, geht es hier um die ganz frischen, geheimen Produkte für die kommenden Saisons – und so dürfen wir den Entwicklern, die an Computern oder großen 3D-Druckern sitzen, kurz über die Schulter schauen und begnügen uns dann mit den Vorzeige-Mock-Ups, die im Gang vor dem Add Lab ausgestellt sind.
Alles, was 3D-gedruckt werden kann, wird auch 3D-gedruckt. Passt der Motor in den Rahmen? Checken wir, indem wir ihn 3D-drucken. Wie sieht der Gummistiefel real aus? Wir drucken ihn mal als elastische Variante aus. Liegt der Tischtennisschläger gut in der Hand? Lasst uns schon mal den Extruder aufwärmen! Früher war der Prototypenbau bei Decathlon weitaus aufwändiger: Entwürfe aus dem Designteam wurden an eine externe Firma geschickt, die Modelle aus Aluminium und Metall herstellte und wieder zurückschickte – funktionierte es nicht wie geplant, ging es wieder von vorne los. Dank 3D-Druck sind die Prototypen von der Idee bis zum Modell nun innerhalb von zwei Tagen fertig und einsatzbereit, um zu sehen, ob Form, Farbe und Funktion passen.
Neben den ausgestellten 3D-Modellen, die sowohl fest als auch flexibel sind, erleben wir aber noch etwas, das wir so noch nicht gesehen haben. Denn eines der Kernthemen von Decathlon in Sachen Nachhaltigkeit ist seit vielen Jahren die Devise, so wenig wie möglich wegzuwerfen – entweder gebraucht kaufen oder reparieren lautet die Ansage. Für viele Produkte gibt es bei Decathlon bereits Ersatzteile, aber noch lange nicht für alle. Moment, 3D-Druck? Die Lösung lag quasi auf der Hand.
Und so wird gerade daran gearbeitet, dass man als Decathlon-Kunde seinen Problemfall direkt an Decathlon melden kann – ist kein Ersatzteil vorhanden, wird das entsprechende Produkt fotografiert, vermessen und das Ersatzteil – wenn möglich – direkt 3D-gedruckt und an den Kunden geschickt. Anschließend landet das Teil in der Datenbank von Decathlon. Nach einer Woche soll das fertige Ersatzteil direkt an den Kunden verschickt werden können. In Frankreich gibt es diese Funktion bereits, eine europaweite Variante ist das mittelfristige Ziel.
Eher beiläufig berichtete Gabin de Meyer von einer sehr spezifischen – ebenfalls vorerst nur in Frankreich verfügbaren – Personalisierungsfunktion. So kann man über eine Eingabemaske seine persönlichen Griffe gestalten – zylindrisch, ergonomisch, mit verschiedenen Mustern und Strukturen zur Auswahl – you name it! Und auch ein persönlicher Text ist möglich. So kann man seine eigenen 3D-gedruckten Griffe direkt bei Decathlon bestellen.
Dass der Fokus auf solche Online-Aktivitäten nicht von ungefähr kommt, zeigt eine Decathlon-Präsentation aus dem Jahr 2021: Das Unternehmen will nicht nur seine Eigenmarken enorm stärken und mehr Filialen eröffnen, sondern vor allem den Umsatzanteil des Online-Shops langfristig steigern – auf 60 Prozent. Es liegt auf der Hand, dass ein Service wie die Produktion individueller Griffe gerade in dieser Größenordnung schon ein Alleinstellungsmerkmal ist.
Test Lab
Ein riesiger Raum voller Testgeräte: Willkommen im Testlabor von Decathlon. Leicht zu erkennen – Lab Manager Clement Lebeaume erklärt uns, dass alle gelben Maschinen von Decathlon selbst entwickelt wurden. Und hier gibt es viele gelbe Maschinen. Neben verschiedenen Tests für Fahrräder, die wir so oder ähnlich zum Beispiel schon von EfBE kennen, werden hier auch E-Scooter, Helme und viele andere Produkte auf Haltbarkeit und Co. getestet. Eine der faszinierendsten Apparaturen, die wir gerne in Aktion gesehen hätten, war aber die Tennisballkanone. Denn die macht genau das, was man sich darunter vorstellt: Tennisbälle verschießen.
Ein paar Räume weiter kann es kalt, warm oder sehr windig werden. Decathlon verfügt unter anderem auch hier in Lille über verschiedene Klimakammern, in denen Temperatur, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit gesteuert werden können. Solche Tests sind für Mountainbikes weniger interessant – gerade für Bekleidung, besonders in der Dauerhaltbarkeit, allerdings ziemlich wichtig und erkenntnisreich.
AML Factory
Drei Türen weiter befindet sich der Eingang zur AML Factory. AML steht für „Atelier Mécanique de Lille“ – wobei man sich, wenn man an den deutschen Begriff „Werkstatt“ denkt, besser etwas ganz anderes darunter vorstellt. Denn AML, so unscheinbar es von außen wirkt, ist eine gigantische Maschinerie, die zu 100 Prozent mit Ökostrom betrieben wird, wie uns Produktionsleiter Philippe Rol vor Ort erklärt.
Neben den Produktionsstandorten in Portugal, Rumänien, Italien und Polen ist AML in Lille eines der wichtigsten Werke, wenn es um die Produktion und Montage von Fahrrädern geht. Im Jahr 2021 wurden weltweit rund 5 Millionen Decathlon-Fahrräder produziert, davon 4 Millionen in Europa. Am Standort Lille verlassen täglich ziemlich viele Fahrräder das Unternehmen – rund 45.000 waren es gesamt im Jahr 2022. Und ein Unterschied zu den restlichen Produktionsstätten: In Lille konzentriert man sich auf die Produktion der höherwertigen Decathlon-Räder. Zum Vergleich: Während der Durchschnittspreis eines Decathlon-Fahrrads bei 290 € liegt, beträgt er im AML 1.600 €: Produziert werden vor allem Mountainbikes von Rockrider, Gravelbikes von Riverside, Rennräder von Btwin und Van Rysel sowie eMTBs der 900er Serie.
Eine Besonderheit gibt es bei den hochwertigen Rädern von Van Rysel. Während die meisten Bikes in mehreren Produktionslinien innerhalb von 20 Minuten pro Bike montiert werden, werden die Top-Rennräder von einem Mechaniker an einzelnen Arbeitsplätzen montiert – dieser Mehraufwand dauert 45 Minuten pro Bike. Während wir in vielen Fahrradfabriken oft riesige Lagerhallen vorfinden, in denen teilweise tausende Fahrräder auf Lager liegen, ist das in Lille anders. Hier wird nicht auf Vorrat produziert, sondern nach den Produktionsaufträgen, die zeitnah aus den Decathlon Stores eintreffen. Große Lagerhallen voller verpackter Fahrräder sucht man vergebens.
Die nächsten Schritte, um die Produktion zu optimieren und noch näher an den Kunden zu bringen, sind bereits als Vision für die Zukunft geplant. So möchte man die Kundinnen und Kunden bereits in die letzten Montageschritte einbeziehen, um sie direkt individualisieren zu können.
Auch im Bereich der Laufradmontage tut sich einiges. 180.000 Laufräder pro Jahr werden für die lokalen Montagelinien sowie für den Aftermarket in der AML produziert. Übrigens: Wenn in der Produktion etwas kaputtgeht, kommt die Abteilung SAB ins Spiel. „SAB“ steht dabei für „Save a Bike“. Heißt: Wenn mal ein Kratzer im Lack ist, das Schaltwerk ruckelt oder die Federgabel nicht richtig funktioniert, wird in dieser separaten Abteilung noch während der Produktion versucht, das Problem zu beheben.
Ein Vorteil des AML-Standorts mitten im B’Twin-Village ist die unmittelbare Nähe zu den Entwicklungsteams, deren Büros sich in Laufnähe im selben Gebäude befinden. So ist laut Philippe ein ständiger Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit möglich.
Wo geht die Reise hin?
Schicker, schneller, Olympia: Das passiert im Offroad-Bereich
Seit vielen Jahren baut Decathlon seine eigenen Fahrräder. Wir erinnern uns: Das erste Produkt der Eigenmarke war ein Rennrad. Und auch Mountainbikes werden seit geraumer Zeit produziert, hier gab es schon einige preisgünstige Räder mit passabler Ausstattung zum guten Preis. Doch während man in den vergangenen Jahren vor allem auf eben jene Preiskracher setzte, soll sich das in Zukunft ändern. Zwar will man auch weiterhin gute und günstige Räder bauen, doch soll das hochwertige Segment künftig auch durch Räder von Decathlon beziehungsweise der Eigenmarke Rockrider ergänzt werden.
Die Mountainbikes von Rockrider sind in drei Kategorien unterteilt: „Explore“ für Genussfahrer und Freizeitsportler, „Feel“ für alles rund um den Trail-Einsatz und „Race“ für den Performance-Einsatz auf der Rennstrecke.
Auch wenn es in der Kategorie Race mit dem 900 S bereits ein Carbon-Fully für den Renneinsatz gibt: Ein deutlicher Fingerzeig in Richtung Olympia spielt in die Zukunftsvision von Decathlon mit hinein. Denn vor rund anderthalb Jahren sorgte man mit der Präsentation eines eigenen XC World Cup-Teams für Aufsehen, das als klares Ziel die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris ausgibt.
Das Problem damals: Mit dem Rockrider Race 900 S gab es zwar ein Race-Bike aus Carbon, aber es war nach Meinung der Teamfahrer kein Bike, das für World-Cup-Strecken geeignet war. 10 Monate hatte das Entwicklungs- und Designteam dann im vergangenen Jahr Zeit, dem Profiteam um Maxime Marotte ein adäquates Arbeitsgerät zur Verfügung zu stellen. Und dieses sorgte für umso mehr Aufsehen: Vor wenigen Wochen vorgestellt, konnten wir das neue XC-Geschoss namens Rockrider Race 940 S im Rahmen unseres Hausbesuchs erstmals live begutachten. Das knapp über 10 Kilogramm schwere Carbon-Bike ist zwar noch nicht im Handel erhältlich, sondern den Profis vorbehalten, setzt aber die erste Duftmarke in Sachen High-End.
„Die Idee war also zunächst, einen möglichst leichten, vollgefederten Rahmen zu entwickeln, der perfekt auf den Einsatz und die Trends im Cross-Country-Bereich abgestimmt ist.“
Das zweite Mountainbike, das für den Kurswechsel steht, ist das Rockrider Feel 900 S. Das im vergangenen Herbst erstmals vorgestellte Carbon-Bike der Feel-Klasse will im direkten Vergleich zu den bisherigen Alu-Rädern nicht nur robuster einsetzbar sein, sondern auch schicker aussehen als die optisch vergleichsweise biedereren Vorgänger. Die Zukunft heißt übrigens nicht zwangsläufig Carbon – das neue Trail-Bike soll es künftig auch in einer noch günstigeren Alu-Variante geben.
Für alle, die in Richtung Enduro oder gar Downhill schielen: In diese Richtung wird es laut Decathlon leider nicht gehen. Der Trail-Bereich wird weiterhin die Speerspitze bleiben. Aus Sicht von Decathlon, die wie kaum eine andere Firma auf eine möglichst breite Käuferschicht abzielen, durchaus konsequent.
Last, but not least, gibt es auch einen kleinen Einblick in den E-MTB-Bereich, wenn auch nur einen kurzen Blick und ein paar Fotos. Die Stilus-Modelle wurden bereits 2022 vorgestellt, allerdings noch ohne ein brachiales Gefährt namens Stilus Big Mtn: Dieses kommt mit Marzocchi-Federelementen, Renthal-Fatbar-Lenker und 170 mm Federweg am Heck, die von einem Stahlfederdämpfer gezähmt werden. Mehr über das Bike wahrscheinlich demnächst – denn der E-MTB-Bereich soll für Rockrider definitiv im Fokus stehen.
Voller Fokus auf Highend: Rennrad und Gravelbikes bei Decathlon
Ein Déjà-vu? Auch im Schmalspur-Segment gönnt sich Decathlon gerade eine Verjüngungskur, vor allem mit der hauseigenen Rennradmarke Van Rysel. Nachdem die Bikes bereits auf der Velofollies-Messe gesichtet wurden, präsentierten sie uns vor Ort spannende und optisch extrem schnell aussehende Bikes für die (nahe) Zukunft. Hier gilt das gleiche wie im Offroad-Bereich: Günstige Bikes auf jeden Fall, aber gerade im High-End-Bereich soll noch mehr kommen.
Und auch hier verfolgt man nicht nur einen Plan für Endkunden. So hat Van Rysel, nachdem bereits Cofidis mit Van Rysel-Bekleidung ausgestattet wird, großes Interesse an einem Materialsponsoring der Tour de France, wie man uns vor Ort mit einem durchaus erkennbaren Leuchten in den Augen erklärte. Wie Ouest France im April berichtete, könnte es sich dabei um das Team AG2R Citroën handeln – werden wir das französische Team also bald mit Van Rysel-Rädern sehen?
An den Bikes soll es jedenfalls nicht scheitern. In diesem Jahr wurden unter anderem die High-End-Bikes Van Rysel XCR (Triathlon) und Van Rysel RCR (Aero) vorgestellt, außerdem zeigte man uns vor Ort – wir sorgen schon mal für den nassen Winter vor – zwei hauseigene Rollentrainer.
Und auch im Gravel-Segment wird Gas gegeben. Die hauseigene Marke Riverside steht für Gravel-Bikes mit Alu- oder Carbonrahmen, mit oder ohne Motor. Mit den Modellen Riverside GCR Force als schlankes Carbon-Gravelbike mit SRAM Force AXS und dem Riverside Touring 920 samt hauseigener Bikepacking-Ausstattung präsentierte man uns vor Ort zwei interessante Bikes der Trenddisziplin.
Nimms Rad – sagt sich auch Decathlon
Das mit Abstand größte Fahrradpublikum ist wohl in den Städten zu finden. Hier konnten wir diverse Neuheiten nicht nur sehen, sondern bei einer sonnigen Cruiser-Tour durch Lille mit BTWIN-Produktmanager Frédéric Jung auch selbst ausprobieren. Das E-Lastenrad R500E Longtail kennen wir bereits von einem kurzen Test auf unserer Partnerseite Nimm’s Rad.de (R500E Longtail Test), ganz anders fuhren wir ein brandneues, leichtes E-Singlespeed-Bike und das BTWIN Long Distance 920e Connected E-Bike, das wir ebenfalls schon vorgestellt hatten (BTWIN Long Distance 920e Connected). Der Clou hier: Die Automatikschaltung, die eindeutig zu den Produkten gehört, bei denen man denkt: Das ist definitiv die Zukunft, wenn es um E-Schaltungen in der Stadt geht. Sanft anfahren, nicht nachdenken, cruisen – so fährt sich der 920e.
Und so, wie man mit dem 920e durch die Straßen cruist, cruisen wir wieder aus vom Haupteingang hinaus ums Eck, an den schwitzenden Menschen im Domyos vorbei, entlang der fullface-tragenden BMXer auf dem Pumptrack, vorbei am Skatepool und raus aus dem großen Tor, der den Ausgang für die fahrradfahrenden Besucher des B’Twin Village weist. Und wer mal Lust bekommen hat, schaut mal in Lille vorbei – es gibt einiges zu entdecken. Auch ohne Gabin De Meyers Mitarbeiterkarte. Aber wie es hinter den Kulissen aussieht, wisst ihr ja jetzt.
Welcher Teil des Hausbesuchs hat euch am besten gefallen?