Hövding – der Airbag-Helm: Infos und Preise
Böse Zungen könnten behaupten, der Hövding sei ein alter Hut: Vor bereits 17 Jahren kam der schwedische Airbag-Helm für Radfahrende erstmals auf den Markt – insgesamt wurden weltweit seither etwa 300.000 Hövdings verkauft, das Gerät ist seit 2019 in seiner dritten Modellvariante verfügbar. Vielleicht gerade deswegen war es für uns höchste Zeit, uns das Gerät, welches um ein Vielfaches besser vor sturzbedingten Verletzungen schützen soll als ein herkömmlicher Fahrradhelm, einmal genauer anzuschauen.
Der Hövding ist wohl so etwas wie der Fahrradhelm 2.0 – er umgibt und polstert den Kopf seines Trägers oder seiner Trägerin bei einem Fahrradsturz. Dabei ist der Hövding aber zunächst gar kein Helm, sondern ein Hightech-Airbagsystem, welches als Kragen um den Hals getragen wird und sich im Ernstfall blitzschnell (zu einem Helm!) entfaltet, um Kopf und Wirbelsäule vor Schaden zu bewahren. Was das soll, wie das geht und worin die Vor- und Nachteile dieses Systems liegen, erklärt euch dieser Artikel.
- Hövding 3 – Fahrrad-Airbag-Helm
- Einsatzzweck Fahrradhelm
- Gewicht 807 Gramm (nachgewogen)
- www.hovding.de
- Preis 349 € (UVP)
- Überzüge, verschiedene Designs je 40 €
Hövding im Detail
Stressiger Job: 200 Mal pro Sekunde misst der Hightech-Kragen um deinen Hals mit seinen Lage- und Beschleunigungssensoren, ob du gerade Fahrrad fährst – oder vielleicht stürzt. Im Falle eines Falles pumpt sich das Teil in 0,1 Sekunden, also lange, bevor du unsanft landen kannst, zu einem Helm aus Helium auf, der nicht nur deinen Kopf, sondern auch den Hals vor einem Aufprall schützen soll. Aber von alledem bekommst du als Nutzer oder Nutzerin des Hövding nicht das geringste mit: Einmal aktiviert, verrichtet das Schwedische Wunderding seinen Knochenjob völlig geräuschlos und – laut Hersteller in zahllosen Stunden Fahrradfahren bewiesen – äußerst zuverlässig. Aber warum das Ganze?
Hövding vs. Fahrradhelm – im Vergleich
Die Preisfrage lautet: Warum sollte man 349 Euro für ein Gerät ausgeben, welches denselben Zweck erfüllt wie ein Fahrradhelm, dabei aber nicht nur um ein Mehrfaches teurer und schwerer ist, sondern im Gebrauch auch regelmäßig aufgeladen werden muss? Wir dröseln die Unterschiede zwischen Helm-Helm und Airbag-Helm hier einmal auf:
Hövding Vorteile
- lässt im Gebrauch den Kopf frei – wer Kopfbedeckungen oder Helmfrisuren als störend empfindet, kann hier aufatmen.
- Dämpfung mindert G-Kräfte eines Aufpralls 3,6 Mal besser als ein Fahrradhelm*
- Rotationsschutz schützt 8x besser vor Gehirnerschütterung als ein herkömmlicher Fahrradhelm**
- schützt die Halswirbelsäule und den Kinnbereich
Hövding Nachteile
- Preis – 349 € ist deutlich mehr, als man für die meisten Fahrradhelme ausgeben muss
- Gewicht – mit 807 Gramm etwa fast dreimal so schwer wie ein Fahrradhelm für die Stadt
- Gebrauch – der Hövding muss aufgeladen werden – eine Akkuladung reicht bei warmem Wetter für etwa 8 Stunden Fahrradfahrt
- Usability – Der Hövding muss vor der Fahrt eingeschaltet und danach wieder ausgeschaltet werden. Wer das vergisst, fährt ungeschützt.
- Schützt nicht bei Kollision mit Hindernissen auf Kopfhöhe.
Die Sache mit dem Kopf … Es soll Menschen geben, die mögen Fahrradhelme nicht, weil sie aussehen wie Fahrradhelme. Es gibt Menschen, die haben nicht gern was auf dem Kopf und wollen trotzdem beim Radfahren auf den Schutz eines Helms nicht verzichten. Und es gibt die große Gruppe von Menschen, die auf der Anreise zum Büro, Café oder einem Date gern das Rad nehmen, aber ihrer Haarpracht die unausweichlichen Folgen des Helmtragens nicht zumuten wollen. Für all jene ist der Hövding einfach ein Meilenstein – weil er eben erst dann den Kopf umgibt, wenn es wirklich notwendig wird – bei einem Sturz oder Unfall. Zudem macht er diesen Job in den allermeisten Fällen um ein Mehrfaches besser als ein marktüblicher Fahrradhelm.
*Test durch Folksam Versicherungen, Schweden
Das schwedische Versicherungsunternehmen Folksam testet seit 2012 regelmäßig Fahrradhelme. Im Jahr 2015 testete sie den Hövding 2.0 als einen von 18 Helmen für Erwachsene. Dem Test zufolge bietet der Hövding eine mindestens dreimal bessere Stoßdämpfung als alle herkömmlichen Fahrradhelme. Nach der EU-Helmnorm (EN 1078) darf die Beschleunigung, die auf den Kopf einwirkt, nicht größer als 250 G sein. Während die herkömmlichen Helme im Mittel eine translatorische Beschleunigung von 175 G (minimal 140 G, maximal 242 G) erreichten, kam der Hövding auf nur 48 G. Auch die auf den Kopf einwirkende Rotationsenergie wurde deutlich besser reduziert als bei herkömmlichen Helmen.
**Test durch die Universität Stanford, USA
Eine Arbeitsgruppe der US-amerikanischen Stanford University im Bereich Bio-Engineering führte 2016 eine Reihe von Falltests mit dem Hövding 2.0 durch und kam zu dem Schluss, dass das Risiko einer Gehirnerschütterung im Vergleich zu herkömmlichen Helmen um das Achtfache reduziert wird. Die Dicke und Steifigkeit des Hövding wurde als nahezu perfekt für den Schutz vor Gehirnerschütterungen und Kopfverletzungen beschrieben. Sie stellten jedoch fest, dass der Luftdruck im Helm für eine optimale Leistung entscheidend ist. Wenn er sich nur teilweise aufbläst, kann der Hövding weniger Schutz bieten als ein Helm aus expandiertem Polystyrol.
Hövding – Unboxing
In seiner Schachtel liegt der Hövding zunächst in schlichtem, nacktem Schwarz. Ein zum Betrieb notwendiger einfacher Überzug liegt im Lieferzustand bei, verschiedene weitere Überzüge sind als Zubehör erhältlich und bringen neben der einfachen Waschbarkeit zusätzlichen Style oder – in unserem Fall – etwa eine regenbogenfarbig reflektierende Außenfläche des smarten Kragens. Dieses High-Visibility Zusatzfeature ist für uns der erste dicke Pluspunkt des Hövding. Überzüge werden mit kleinen Reißverschlüssen am Hövding befestigt – wer sich Frust ersparen will, schaut kurz in die Anleitung, wie das geht – dann ist es sogar ziemlich einfach.
Der Kragen, der eigentlich ein Airbag-Helm ist, wiegt gut 800 Gramm und ist damit ähnlich schwer wie ein Integralhelm für den Mountainbike-Sport. Übliche moderne Fahrradhelme für den Stadtverkehr wiegen mit ihren etwa 300 Gramm nur gut ein Drittel davon: Ein gewaltiger Unterschied – zulasten der schwedischen Erfindung.
Zentral mittig im Nackenbereich des Hövding findet sich das zunächst ungewohnt kastige Gehäuse, in welchem sich die Elektronik und der Airbag-Generator des Hövding verbergen. An seiner Unterseite der USB-Ladeport und ein wasserdichter Taster zur Akku-Kontrolle und Kopplung mit der Hövding-App.
Hövding im Gebrauch
Beim ersten Gebrauch ist die blinde Bedienung des Reißverschlusses vorn am Hals ein wenig fummelig; das ist aber schnell erlernt und nervt nicht wirklich. Zum Scharfschalten der Hövding-Funktion muss zusätzlich noch eine breite Lasche geschlossen werden, diese hält magnetisch und an ihrem Verschluss zeigt eine grün blinkende LED an, dass der Hövding nun aktiviert ist. Dazu meldet das Gerät auch akustisch Betriebsbereitschaft mit einem Jingle – und schaltet man ihn ab, mit einem weiteren angenehmen, auch in lauterer Umgebung gut hörbaren Tonsignal. Die Innenweite des Airbag-Kragens kann mit einem BOA-Drehverschluss verstellt werden, der mittig innen im Nackenbereich angebracht ist. Vorn am Kinn kitzelt uns der recht lange Reißverschluss – ungewohnt, aber subjektiv weniger störend als etwa der Kinnriemen eines Helms.
Laut seiner übersichtlich und verständlich gestalteten Anleitung ist der Hövding ausschließlich für das Fahrradfahren im Alltag, nicht für den Fahrradsport – egal ob MTB oder Rennrad – gemacht. Während es sofort einleuchtet, warum bei Fahrten über Stock und Stein ein Airbag-Kragen keine gute Idee wäre, stellt sich fürs Rennradeln – zumindest für Commuter die Frage: Warum eigentlich nicht? Wir finden, je sportlicher und flacher die Sitzposition auf dem Rad, desto merklicher ruht der schwere und harte Elektronik-Kasten des Hövding auf den Wirbeln mehr oder minder störend in unserem Nacken.
Zum Hövding gehört eine App – Die Hövding App für iOS findest du hier und die Hövding-App für Android hier. Mit dieser kann man seinen Hövding registrieren, Firmware-Updates aufspielen, mit dem Hövding gefahrene Strecken aufzeichnen oder Notfallkontakte hinterlegen, die bei einer Auslösung des Fahrrad-Airbags automatisch vom System benachrichtigt werden sollen. Die in der App versprochene akkurate Batterie-Anzeige für den Hövding-Akku ist während unseres Testzeitraums nicht nutzbar – den ungefähren Ladestand des Geräts kann man aber immerhin direkt abfragen, indem man einen Button an der Hövding-Zentraleinheit drückt.
Hövding – und sonst?
Trägt man den Hövding gerade nicht, kann er mit einer stabilen Lasche einfach aufgehängt werden. Bei Zwischenstopps, etwa zum Einkaufen, kann man ihn einfach entschärfen und anbehalten – dabei stört er weniger als ein Helm und man hat beide Hände frei. Wird es beim Radeln sehr sonnig, kalt oder nass, muss man sich über eine Kopfbedeckung Gedanken machen. Der Hövding soll kompatibel mit Mützen und Kapuzen sein – wenn letztere unter dem Hövding getragen werden. Ausladend-mondäne Hüte würden beim Auslösen des Airbags vermutlich einfach vom Kopf gehoben – aber getestet haben wir dies leider nicht.
Wer auf dem Fahrrad gern einen wärmenden Schal tragen möchte, muss hier wohl Abstriche machen. Der Platz um den Hals des Trägers oder der Trägerin ist vom Hövding voll belegt, während es bei sommerlichen Temperaturen unter dem wuchtigen Kragen – gerade bei schweißtreibender Fahrt – tendenziell recht warm wird.
Hövding im Ernstfall
So viel vorab: Wir sind mit unserem Test-Hövding nicht gestürzt und haben das Gerät auch nicht mutwillig ausgelöst. Somit bezieht sich dieser Abschnitt auf generelle Überlegungen und Daten aus Messungen sowie Statistiken zum Hövding, die wir nicht selbst erhoben haben und nicht im Detail überprüfen können.
- Besserer Schutz – bei einem Sturz schützt der Hövding seinen Träger oder seine Trägerin deutlich besser als ein Fahrradhelm – mit einer Ausnahme: Gegen Hindernisse auf Kopfhöhe schützt der Airbag-Helm überhaupt nicht, da er erst durch einen Fahrradsturz ausgelöst wird.
- Der Zweck von Fahrradhelmen besteht darin, die Folgen eines Fahrradsturzes zu mindern. Ein Anprall an ein Hindernis (etwa ein Auto) gehört nicht zu seinen Aufgaben – entsprechend gering ist der Schutz bei solchen Ereignissen. Der Hövding deckt im aufgeblasenen Zustand eine größere Fläche ab und ist dicker sowie weicher als ein Helm. Allerdings liegt hier auch sein größtes Problem: Das Gerät benötigt Zeit, sich aufzublasen: Knallt man in zügiger Fahrt etwa gegen eine Autotür, kann das eng werden und der Kopf bliebe im Zweifel ungeschützt.
Ausprobiert! Hövding 3
Der Hövding macht alles anders und vieles besser als ein herkömmlicher Fahrradhelm. Wer maximalen Schutz mit maximaler Kopffreiheit kombinieren möchte und über ein entsprechendes Budget verfügt, für den oder die bietet der Airbag für den Kopf eine ausgereifte und umfassende Lösung ohne Kompromisscharakter. Der Mehraufwand in der täglichen Benutzung hält sich ebenfalls in Grenzen und fiel beim Test nicht negativ ins Gewicht.
Helm, Hövding oder oben ohne – Wie hältst du es mit dem Kopfschutz?
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Weitere kurze Tests aus der Serie Ausprobiert findest du auf dieser Übersichtsseite. Wenn du ein Produkt für einen ersten Test vorschlagen möchtest, schreibe uns einfach hier eine Nachricht!
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12 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumSehr interessantes Konzept, aber erstmal nichts für mich, ich bleibe zunächst beim Helm.
Es wäre ein weiteres Gerät bei mir Zuhause, welches aufgeladen werden muss. In letzter Zeit überlege ich eher wie ich die immer größer werdende Anzahl an Geräten reduzieren kann. Smartphones, Tablets, Kopfhörer, Akku-Lichter, Zahnbürsten, usw., überall hängen permanent irgendwelche kabellosen Geräte an Steckdosen. Demnächst richten wir ein eigenes Zimmer als Ladestation aus. ☺️
Der Hövding würde bei mir nicht funktionieren, wegen MTB, Gravel und sportlicher Sitzposition auch auf allen anderen Rädern. Da ist er nämlich nicht für freigegeben.
Beim Helm könnte man zur Not noch nen Überzieher drüber machen und bleibt dann trocken, aber beim Hövding gibt es keine Möglichkeit, denn Kapuze oder ähnliches wäre schon wieder ein Risiko, falls das Teil auslösen muss.
dünne Kapuzen und Mützen sind davon ausgenommen, somit für mich kein Problem!
Diese Standard-EPS-Helme sind aber nicht der Maßstab, den man anlegen sollte. MIPS war auch schon 2016 eigentlich für Helme ab 100.- € der Standard. Allerdings bleiben die Aussagen zur Wirksamkeit von MIPS auch eher wage. Da wünscht man sich wirklich mal eine wissenschaftliche Studie zu dem Thema insgesamt.
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