Heute nehme ich das Hollandrad eigentlich nicht mehr. Aber ich träume davon. Früher, als ich noch in Köln gewohnt habe, da nahm ich das Hollandrad, wann immer es ging. Es war so ein Bahnhofsrad, so eins, bei dem das Schloss mehr kostet als das ganze Fahrrad. Weil auch das billigste Bike noch so gut gebraucht werden kann, dass ein Diebstahl lohnt.
Wie so viele Stadtbewohner hatte ich mein Hollandrad gebraucht gekauft (100 €?), damit ich es überall stehen lassen kann. Ich sehe es noch vor mir: Schwarz-Weiß, chromblitzende Stahlfelgen (tatsächlich), Schutzbleche, die bis fast zum Boden gehen, ein Lenker beinahe auf Kinnhöhe und ein dicker Gepäckträger. Es hatte Licht, das „uiuiuiuiui“ macht, wenn der Dynamo über das poröse Reifengummi eiert. Einer von drei Gängen klappte, zum Glück der Mittlere.
Ich liebte mein Hollandrad, aber das wusste ich noch nicht. Nicht so wie eins dieser Räder, die man jeden Tag an der Wohnzimmerwand mit großen Augen abtastet. Mehr wie „ans Herz gewachsen“.
Ans Herz wuchs es mir, weil es mich überall so gut hinbringen konnte: mit total trockenen Füßen in ganz normalen Schuhen, weil die Schutzbleche so weit runtergingen, lässig, mit einem Finger am Lenker, weil es so schön geradeaus lief und auch einfach per Rücktritt ganz ohne Hände zum Stehen kommen konnte. Weil man auch ganz easy aufsteigen konnte, wenn der verkaufte Liebhaber-Rennrad-Stahlrahmen im Paket den Gepäckträger blockierte. Weil statt des Rahmens auch mal ein Mensch ein kleines Stück Weg mitfahren durfte (auch wenn er das laut Gesetz eigentlich nicht durfte).
Mit meinem Hollandrad hatte ich viele aufregende Begegnungen mit Autotüren und erlebte mit ihm mehr Verletzungen als mit allen meinen Sporträdern zusammen. Und die Unfälle überstand es immer besser als ich: Lenker wieder gerade drehen, fertig. Das verbindet. Ich habe es nie gepflegt, nicht einmal die Kette geölt, weil die in einem hübschen Kasten verborgen war, den ich nie öffnete, weil ich Angst hatte, dass ich das Puzzle nicht mehr zusammenbekomme.
Man konnte das Hollandrad auch getrost Tage lang selbstvergessen in der Stadt abhängen lassen.
Man konnte das Hollandrad auch getrost Tage lang selbstvergessen in der Stadt abhängen lassen. Sein geringer Geldwert täuschte ja vor, dass es nichts zu verlieren gab. Kurz: Es war ein Sorglosrad, sogar ein Sorgenbefreier, weil die Hektik Welt aus dem Hollandradsattel auf Abstand ging, ich sage nur, fröhlich trällernd am Rheinufer lang gondeln und den Schiffen beim Tuckern zuhören.
Heute wohne ich in Wuppertal, wo die Menschen schon vor hundert Jahren eine Schwebebahn über einen Fluß gehängt haben, weil zwischen den Bergen links und rechts nicht genug Platz für ein ordentliches Verkehrsmittel war. Beinahe ein Paradies zum Rennradfahren. Sogar befreundete Münchner beneiden mich, weil ich in 15 Minuten die Stadt hinter mir gelassen habe. Berg hoch, raus. Andererseits: Wenn ich Unbekannten meinen Wohnort nenne, sagen viele, „ach, das ist doch die Stadt mit den vielen Autobahnausfahrten.“ Das stimmt auch.
Hollandräder liegen hier unbeachtet im Dreck neben den (seltenen) Fahrradständern. Selbst mit einer 5-Euro-Baumarktkette mit Playmobil-Vorhängeschloss besteht keine Mitnahmegefahr. Hollandrad und Wuppertal, das passt nicht.
Keine Gänge, sackschwer, Wiegetritt grenzt an Akrobatik!
Eine Zeit lang habe ich das meinem guten alten Hollandrad angelastet. Keine Gänge, sackschwer, Wiegetritt grenzt an Akrobatik! Aber das Rad trifft gar keine Schuld. Schuld haben auch nicht die Berge, wie hier gerne beklagt wird. Den Bergen könnte auch ein E-Hollandrad die Schwere nehmen, gar kein Problem (ich räume ein, über der Sorglosigkeit stünde ein Fragezeichen). Jetzt weiß ich, es liegt an fehlendem Platz fürs Radfahren. Einfach aus der Haustür stolpern, aufs Rad setzen, irgendeinen Punkt in der Stadt ansteuern und wissen, für alles ist gesorgt, es wird einfach, ich kann was mitnehmen unterwegs, ich muss das Rad nicht wieder mit zurücknehmen, sondern kann mich auch in die Bahn plumpsen lassen. Das muss gehen, das hat mit dem Rad wenig zu tun. Auch befreit von links drängelnden Karossen zu sein, das geht hier nur auf dem einen Weg, den CNN zu den schönsten Straßen der Welt gekürt hat, der Nordbahntrasse. Alles andere ist Adrenalin. Das Gegenteil von Holland(rad).
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Alle Artikel unserer Kolumne findet ihr hier:
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- Laurenz nimmts Rad: … und fährt zur Kidical Mass
- Fahrradparkhaus Eberswalde in Brandenburg: Zukunft aus Holz für 600 Fahrräder
- Neue Verbote für den Radverkehr: Tempolimit, Lärmschutz – was kommt als Nächstes?
- Stefanus nimmts Rad: Eine Ode ans Pendeln mit dem Fahrrad
14 Kommentare
» Alle Kommentare im Forumganz grob gesagt find ich die Form dieser .... ähhhh.... Dinger, Teile, andere nenns Fahrrad echt stadttauglich .
wäre da nicht dieses Problem in den Köpfer der Entwickler extrems lange Entfaltung (Übersetzung ) für alle einbauen zu müssen.
ne schnieke Nabenschaltung mit Entfaltung von 1.5m bis 5m ist datt sinnvollste was nem gradrückig sitzenden Einkaufradler zumutbar ist.
meine Mutter hatte nen CityFahrrrad von Hercooles mit min. 3.2m Entfaltung fürs Gelände hier im Weserbergland.
der Händler sachte damals "das hat 5-Gang, das ist gut für alles " ☝️
😒😂
Scheinbar lassen die Hersteller die Räder von Mountainbikeweltmeistern testen, dann würde das vielleicht hin kommen. 🤦♂️
Antriebsriemen fand ich übrigens sehr geil. Kein Dreck, kein Gequietsche. 1x die Woche abspülen, sauber.
Für die Stadt top. 👍
Also für mich gibt es das perfekte Stadtrad nicht. Ich habe deswegen ein Klapprad, ein zum Fixie umgebautes RR mit Bremsen und ein großes Lastenrad. Hätte ich nur eines, wären es vielleicht ein Kompakt Lastenrad so im Stil vom Omnium Minimax oder ein Portus Cargo Carl (ohne Motor)
Ein Rad im Stile vom Hollandrad aber moderner hätte für mich ergonomischere Lenker, Alurahmen und Gabel, Ballonräder, Riemenantrieb mit mind. 8 Gängen, eine etwas sportlichere Geometrie (so eher Cityrad als kerzengerade) vielleicht sogar Scheibenbremsen. Nabendynamo darf es auch haben, ist aber aktuell ja eh seit 15 Jahren Standard.
Dagegen ein Hollandrad hat einen Rahmen aus Abwasserrohren, eine Kurbel mit Keillager, Verchromte Stahlfelgen, massiven Kettenkasten, Mantelschoner und diesen Lappen unten am VR Schutzblech, dessen Name ich vergessen habe, 3-7 Gänge Sachs / Sram Schaltung, einen englischen Lenker mit 90 Grad abgewinkelten Enden, Trommelbremsen und Rücktritt (in Deutschland) eine Geo die alle Stöße der Straße an die Wirbelsäule weiterleitet, wäre da nicht der 2 kg schwere Lepper Ledersattel.
sowas
Ein Hollandrad ist eine Erfindung, die ich nie verstehen werde: In einer Gegend wo Gegenwind zum Leben gehört, war Zeitweise ein Monster das beliebteste Rad, das genau dies überhaupt nicht ermöglichte: Sich vor dem Wind zu ducken. Es hat mich daher dann überhaupt nicht gewundert, dass fast alle Holland-Rader motorisiert sind...
(Mein Eindruck von 2015, der letzten langen Tour durch die Niederlande)
Hi,
irgendwie haben die Räder doch was, habe selber ein altes Batavus von 1961.
Macht Spaß damit zu fahren.
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