Es ist Montagmorgen und ich bin mit einem Lächeln auf den Lippen aufgestanden. Und das liegt nicht nur am güldenen Herbstwetter, sondern auch und vor allem daran, dass ich gestern einen Punkt aus meiner diesjährigen Year-Compass-Liste streichen konnte: An einer Fahrraddemo teilnehmen. Da ich das am liebsten auch gleich mit dem Nachwuchs teilen und daher mit dem Lastenrad tun wollte, stellte sich das, in der Kleinstadt lebend, bisher eher als ambitioniertes Unterfangen dar. Dazu, wie es am End, wie der Hesse sagt, doch alles geklappt und ob es allen gefallen hat, folgen hier ein paar Zeilen.
Sonntagsausflug zur Demo
Die Verabredungsanfrage unserer Camperfreunde aus Wiesbaden kam wie gerufen. Ihres Zeichens auch Lastenradler hatten sie natürlich auch schon von den bundesweiten Kidical Mass Aktionstagen am Wochenende gehört und waren schnell mit an Bord, als wir die Fahrraddemo in der Landeshauptstadt als Treffpunkt für unser lang geplantes Wiedersehen vorschlugen. Doch wie dort hinkommen? Aus dem etwa 25 km entfernten Idstein wäre das mit unserem offroad- und tourentauglichen Load 75 sogar per Rad möglich, aber recht zeitaufwendig. Ein Glück, wissen wir seit der Abholung unseres neuen Familiengefährts, dass das 2,65 m lange Fahrrad haargenau in unseren Maxi Caddy passt. Und welch besseren Ausrede könnte es geben, den Autoersatz mit dem Auto zu transportieren, als eine Demo für sicheren Radverkehr?
Und warum dieser ganze Aufwand? Na, weil es wichtig ist und weil Mobilitätsbildung besser zu früh, als zu spät beginnt. Schon wenn wir unsere Kinder das erste Mal in den Fahrrad-Kindersitz setzen, nehmen wir mit ihnen aktiv am Straßenverkehr teil und tragen dazu bei, dass sie früh lernen, sich darin selbstbewusst zu bewegen. Damit das möglichst sicher passiert, müssen allerdings auch die äußeren Faktoren stimmen und dafür gilt es hierzulande, eben noch zu demonstrieren. Viel zu autozentrisch sind unsere Städte und Straßen gestaltet und ist das mehrheitliche Mindset geprägt. Außerdem war bei sonnigem Wetter und spätsommerlichen Temperaturen eh klar, dass wir den Sonntag auf dem Rad verbringen würden. Warum also nicht auch mal in der großen bunten Stadt, anstatt im wattierten Kleinstadtidyll?
Kidical Mass – Was ist das?
Falls du bisher nur Bahnhof verstanden hast, bist du damit beim Überthema (Verkehr) zwar schon mal richtig, hast aber wahrscheinlich noch ein bisschen Klärungsbedarf. Kein Ding, da helf ich dir gerne auf die Sprünge: Bereits seit 2017 gibt es in Deutschland das Kidical Mass Aktionsbündnis, welches sich als Teil der weltweit aktiven Kidical-Mass-Bewegung sieht. Bei bunten Fahrraddemos erobern dabei Radfahrende von 0 bis 99 Jahren die Straße und feiern im Grunde eine Party auf der Straße. Die übergeordnete Zielsetzung besteht darin, sich für kinder- und fahrradfreundliche Städte und Gemeinden einzusetzen. Die Forderung des Bündnisses und der Teilnehmenden an die Politik kann in diesen drei einfachen Punkten zusammengefasst werden:
- Eine weitestgehende Trennung von Rad- und Autoverkehr mit geschützten Radwegen,
- Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen innerorts bis hin zu Tempo 20 vor Schulen und Kitas sowie
- Schulstraßen ohne Autoverkehr.
Die Grundfeste des Aktionsbündnisses besteht aus mehr als 500 lokalen Organisationen und Initiativen. Ein dezentrales Netzwerk, das selbstorganisiert und gemeinsam stark ist. Unterstützt wird das Kidical Mass Aktionsbündnis von wichtigen überregionalen Partner:innen wie: ADFC, Campact, Changing Cities, Clean Cities Campaign, Deutsches Kinderhilfswerk, Greenpeace, Parents For Future, Pro Velo Schweiz, VCD und Zukunft Fahrrad.
Die Demoform der Kidical Mass leitet sich übrigens von der bekannteren Erwachsenen-Version der Critical Mass ab, welche übrigens nicht weniger friedlich und ausgelassen jeden dritten Freitag im Monat, 18.30 Uhr am Wiesbadener Hauptbahnhof und in über 100 weiteren Städten bundesweit begangen wird (eine Auflistung aller Critical Mass-Termine und Standorte findest du hier).
Spielplatz und Tech-Talk inklusive
Noch gibt es keine offiziellen Zahlen zur Demo in Wiesbaden, aber ich gehe davon aus, dass dieses Jahr ein neuer Rekord aufgestellt wurde: Bereits am Sammelpunkt am Kranzplatz war die schiere Menge an Radfahrenden größer, als ich es mir vorgestellt hatte – Fahrräder, so weit das Auge reichte. Das Einzige, was hier dampfte, war das heraufsteigende Thermalwasser des Kochbrunnens. Nach einer kurzen Ansprache des Organisators und tosendem Applaus hunderter Fahrradklingeln ging es los durch die Stadt. Rund sechs Kilometer fuhren wir bei bestem Wetter über teils dreispurige Straßen, die extra für die Demonstration gesperrt und von Polizei und Ordner:innen gesichert wurden. Die Stimmung bei den Demonstrierenden hätte also besser nicht sein können, am Straßenrand vernahm hingegen das ein oder andere Grummeln oder Hupen – die reinste Anfeuerung!
Das Freiheitsgefühl einer Fahrt mit dem Fahrrad hat ja ohnehin schon etwas Erhabenes. Das Ganze noch völlig stressfrei und vor allem sicher auf einer gesperrten Hauptverkehrsader tun zu dürfen, toppt das meiner Meinung nach noch mal um einiges. Das dachten sich sicher auch die vielen Radfahrenden, die, ob geplant oder ungeplant, währenddessen hinzustießen. Beendet wurde die spaßige Gruppenfahrt kollektiv in den Nerotal-Anlagen, wo ein weitläufiger Park, Ententeich und Spielplatz zum Verweilen und Austausch einluden. Und wie sich das für eine richtige Fahrradveranstaltung gehört, kamen dabei natürlich auch die technischen Themen nicht zu kurz. Auf meinem Zettel steht jetzt zum Beispiel der Umbau auf Tubeless am Lastenrad ganz oben.
Mein Fazit
Meine, oder besser unsere erste Teilnahme an einer Kidical Mass war ein voller Erfolg und großer Spaß für alle Beteiligten. Wer dem eigenen Demonstrationsrecht in guter, sicherer Atmosphäre frönen, etwas für die Verbesserung unserer Verkehrsinfrastruktur tun und der Familie ein unvergessliches Erlebnis mit wertvollen Eindrücken für die Kids ermöglichen möchte, sollte es auch unbedingt einmal ausprobieren! Die nächsten Kidical-Mass-Aktionstage finden vom 29.04. bis 5.5.2024 statt – positive Nebeneffekte, wie eine wilde Ausstellung verschiedenster Bikes, frische technische Impulse für die Alltagsmobilität und neue Bekanntschaften mit Gleichgesinnten inklusive.
Warst du auch schon mal auf einer Fahrraddemo – was sind deine Erfahrungen?
Alle Artikel unserer Kolumne findet ihr hier:
- Tobias nimmt’s Rad – und den Tesla: Wie kommt die Fahrrad-Mobilität mit in den Urlaub?
- Laurenz nimmts Rad: … und fährt zur Kidical Mass
- Fahrradparkhaus Eberswalde in Brandenburg: Zukunft aus Holz für 600 Fahrräder
- Neue Verbote für den Radverkehr: Tempolimit, Lärmschutz – was kommt als Nächstes?
- Stefanus nimmts Rad: Eine Ode ans Pendeln mit dem Fahrrad
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