Es kann viel passieren, wenn du das Rad nimmst. Auf dem Weg, im Kopf, am Ziel. In unserer Rubrik schreiben unsere Redakteur*innen und Autor*innen, was sie beim ganz alltäglichen Radfahren gedacht und gemacht haben, worüber sie gelacht haben und worüber einem beim Radnehmen so richtig das Lachen vergehen kann. Heute bringt Stefanus eine Ode an das Pendeln mit dem Fahrrad.
Ich nehm’s Rad – das ist für niemand, der mich kennt, eine Überraschung. Überraschend aber: Zwar teste ich freiberuflich Mountainbikes, E-Bikes, Rennräder, Gravelbikes und so weiter – das Rad, das ich am häufigsten fahre, ist aber mein liebevoll „Dadbike“ genanntes Rose Multistreet, ein Stadtrad, ein „Commuter“, wie man neudeutsch sagt. Das Dadbike – ich habe keine Kinder – ist für mich der Inbegriff des Pendlerfahrrades. Es ist vernünftig, es ist weitestgehend ernst gemeint, es ist eben ein Fahrrad, wie vernünftige Väter es fahren. Das ganze Zeug, was ein Fahrrad hässlich macht, aber eben verdammt sinnvoll ist, ist am Dadbike dran. Schutzbleche. Nabendynamo samt fester Lichtanlage. Gepäckträger. Klingel. Reifen mit Reflektoren. Wendepedale.
Dieser unschöne Klimbim ist am Dadbike montiert, weil ich das Dadbike jeden Tag zur Arbeit fahre. Jeden Tag heißt zwar seit 2,5 Jahren in Wahrheit nur noch „jeden Büroarbeitstag oder Tag mit längerer Stadtstrecke“, ist aber eben unabhängig von Wetter, Tages- und Jahreszeit. Viele Kollegen (ich habe quasi keine Kolleginnen, traurig aber wahr) fragen dann, bei Schnee, bei Regen, bei Kälte: „Heute bist Du aber nicht mit dem Fahrrad gefahren, oder“? Und ich antworte immer: Doch, warum nicht?
Warum nehme ich das Rad? Das Auto und die Öffentlichen wären wärmer und trockener, keine Frage. Sie wären wahrscheinlich nicht mal so viel teurer. Wenn ich vollständig aufaddiere, was ich an Regenkleidung, Materialverschleiß und so weiter in meine Fahrrad-Pendelei stecke, könnte ich ein Jahresticket kaufen. Ich fahre also nicht mit dem Fahrrad, weil ich ein bequemes und billiges Fortbewegungsmittel suche.
Das rationale Argument fürs Fahrrad ist die Unabhängigkeit: Es fährt, wann ich will und genau dorthin, wo ich will. Anders als ein Auto braucht ein Fahrrad keine speziellen Parkplätze, und Stau gibt es auf dem Fahrrad in Deutschland auch nicht. Man kann auf dem Fahrrad kürzere Routen fahren als mit dem Auto, muss nie umsteigen, und laden muss man das Teil auch nicht. Obendrein ist man, wenn man mit dem Fahrrad pendelt, einfach grundsätzlich fit und selten krank.
Das rationale Argument fürs Fahrrad ist die Unabhängigkeit: Das Fahrrad fährt, wann ich will und genau dorthin, wo ich will.
Wie klein erscheinen da die Nachteile! Kälte, Nässe, Wind – das sind eigentlich Fragen der Ausrüstung, und ich schäme mich nicht, mich mit feiner Ausrüstung gegen die Elemente zu schützen. Schwitzen ist eine Frage des Arbeitgebers und des Tempos, in dem man fährt. Ich bin jahrelang 15 km pro Weg gependelt, ohne eine Dusche zu haben, ich sag mal: Gemütliche Fahrweise und Merino machen es möglich. Besser ist aber natürlich eine Dusche am Arbeitsplatz. Wer die Möglichkeit vermisst, Dinge mitnehmen zu können, sollte überlegen, wie viele Dinge er eigentlich mitnehmen muss. Und oft rolle ich den letzten Kilometer dann mit Einkaufstasche in der Hand nach Hause, geht alles. Klar, Kinder und Haustiere sind ein gewichtiges Argument – für ein Lastenrad.
Vielleicht fehlt es Menschen, die nicht mit dem Fahrrad pendeln, auch an der Gabe, die kleinen schönen Dinge zu sehen. Was habe ich schon für fantastische Sonnenauf- und untergänge auf dem Fahrrad gesehen – die nimmst Du im Auto nicht wahr, und in der U-Bahn geht die Sonne einfach nicht auf oder unter. Was fühlt es sich gut an, im Winter im T-Shirt durchs Büro zu laufen, wo andere gerade frieren – weil man selbst bei 0°C auf dem Rad saß, und sich andere bei 23°C Innentemperatur von der Sitzheizung die Daunenweste haben aufwärmen lassen – bis der Kreislauf gar nichts mehr tun muss?
Mit der richtigen Kleidung mit dem Fahrrad zu pendeln ist quasi perfekt. Die einzigen Tiefpunkte sind technischer Natur. Platte Reifen, ein kaputter Freilauf, ein defektes Licht, die immer noch zu kleinen Schutzbleche und die schmutzanfällige Kette. Das Pendlerbike darf sich gern noch weiterentwickeln.
Viel davon hängt aber auch an der Strecke, und das ist vielleicht die Botschaft dieser Kolumne: Wenn ihr Lust auf Pendeln mit dem Fahrrad habt, dann gönnt euch einerseits Ausrüstung dafür (beziehungweise nutzt die Outdoorprodukte intensiver, die ihr vom Biken, Bergsteigen und Skifahren eh schon habt) und sucht euch andererseits die perfekte Route. Probiert aus! Fahrt in Sackgassen! Es kann schon mal ein halbes Jahr dauern, bis man die richtige Route von A nach B gefunden hat. Die richtige Route kann im Sommer eine andere sein, als im Winter, auf dem Hinweg eine andere, als auf dem Rückweg und bei Regen eine andere, als bei Sonnenschein.
Was treibt euch auch bei Kälte und Dunkelheit mit dem Rad zur Arbeit?
Alle Artikel unserer Kolumne findet ihr hier:
- Tobias nimmt’s Rad – und den Tesla: Wie kommt die Fahrrad-Mobilität mit in den Urlaub?
- Laurenz nimmts Rad: … und fährt zur Kidical Mass
- Fahrradparkhaus Eberswalde in Brandenburg: Zukunft aus Holz für 600 Fahrräder
- Neue Verbote für den Radverkehr: Tempolimit, Lärmschutz – was kommt als Nächstes?
- Stefanus nimmts Rad: Eine Ode ans Pendeln mit dem Fahrrad