Wer sagt eigentlich, dass ein Lastenrad immer gleich ein weit ausladender Kahn sein muss? Geht das nicht auch etwas kompakter, manövrierfähiger und einfacher? Genau dieser Frage stellte sich auch Marcus Dittberner, Gründer von Sblocs Bikes, als ihm die Idee für sein besonderes Cargobikekonzept kam. Okay, zugegeben: Bei „einfach“ blieb es dann doch nicht ganz. In den anderen Punkten aber hat er die Frage mit einem deutlichen Ja beantworten können. Wir haben die Berliner Jungs in ihrer Manufaktur im Goerzwerk in Berlin Zehlendorf besucht, um noch weiteren Fragen auf den Grund zu gehen und natürlich, um Lastenräder zu fahren. Äußerst kompakte Lastenräder, um genau zu sein. Was die Sblocs Cargobikes so besonders macht, in welches Etablissement die erste Testfahrt des Teams ging und was die kompakten Cargobikes aus Berlin mit Graubünden zu tun haben, erfährst du in unserem Hausbesuch.
Bereits beim ersten Anblick des Goerzwerk-Komplexes im Berliner Nordwesten beschleicht mich das Gefühl, dass hier eine innovative Marke auf mich wartet. Gerade aus dem Bus ausgestiegen, werde ich schon am Zaun des umstrukturierten Industriegeländes mit Informationen über die im Campus beheimateten Unternehmen versorgt: Eine bunte Mischung aus Agenturen, Studios und Start-ups jeglicher Art – ein Laufradbauer ist auch dabei! Das Plakat zu den speziellen Lastenrädern muss allerdings weiter vorne am Zaun gehangen haben. Nicht schlimm, sollte ich doch wenig später alle Facts zu Sblocs aus erster Hand bekommen. Am Tor angekommen noch ein kurzer Schnack mit dem Pförtner und uff jehts!
Von der Langstrecke zur Lastenrad-Manufaktur
Marcus begrüßt mich bereits aus der Ferne, als ich mich dem Firmengebäude – einem vorgelagerten, frei stehenden Gebäude, welches zu der frühen Uhrzeit noch im Schatten des großen Hauptgebäudes liegt – nähere. Er befindet sich noch im Gespräch mit einem Campus-Nachbarn, also nutze ich die Gelegenheit, einige Fotos zu schießen, um wenig später mit ihm gemeinsam in das ehemalige Wasseraufbereitungswerk einzutreten. Marcus erklärt mir dann, dass man auf dem Campus immer noch dabei sei, sich untereinander kennenzulernen und zu vernetzen, denn die Marke hat erst Ende letzten Jahres ihr Hauptquartier aus der Innenstadt auf das Goerzwerk-Gelände in Berlin Zehlendorf verlegt und die Liste der dort untergebrachten Unternehmen ist nicht gerade kurz. Erst vorgestern habe man sich mit der, für ein solches Umfeld scheinbar obligatorischen, Kaffeerösterei „vernetzt“, erzählt mir Marcus weiter. Die Prioritätensetzung stimmt hier schon mal, denke ich mir daraufhin.
Wir nehmen am großen Konferenztisch Platz, der dem durch Regale abgetrennten Bürobereich gleich gegenüberliegt. Im hallenartigen Gebäude, welches Bürotrakt, Konferenzraum, Montagehalle, Werkstatt, Rahmenprüfstand, Küche und Pausen-Plateau (Erklärung siehe Fotos) auf 1,5 Etagen in offener Bauweise beherbergt, herrscht eine angenehme, durch den unbeschönigten Industrielook inspirierte Atmosphäre. Der perfekte Ort, um urbane Mobilität neu zu denken, so scheint es mir.
Nach einer kurzen Begrüßung steigen wir auch gleich in unser Gespräch über Sblocs ein, denn es gibt viel zu erzählen! Auf die Frage nach dem Anfang muss Marcus nicht lange nach einer Antwort kramen, denn so lange gibt es die Fahrrad-Manufaktur, die sich auf kompakte Lastenräder spezialisiert, noch gar nicht. Genaugenommen erst seit fünf Jahren. Um aber zu erklären, wie es überhaupt zur Gründung einer Cargobike-Firma durch ihn kam, muss Marcus dann doch etwas weiter ausholen. Seine Beziehung zum Fahrrad erfuhr nämlich eine fundamentale wie schicksalshafte Bekräftigung, als der gelernte Grafikdesigner 2007 ein Sabbatjahr nahm, um mit einem auf seine speziellen Anforderungen angepassten Idworx-Mountainbike eine Radreise durch Europa zu unternehmen. Neben den vielen wertvollen Dingen, die einem während einer solchen erkenntnisreichen Auszeit bewusst werden, wusste der passionierte Langstrecken-Fahrer danach vor allem auch eines: Zukünftig sollte auch sein berufliches Leben von seiner Leidenschaft fürs Fahrrad bestimmt sein.
Ein Commuterbike mit Kofferraum
Nach anfänglichen Überlegungen in die Richtung multifunktionaler Radbekleidung wurde Marcus – damals noch hauptberuflich Creative Director und Inhaber der eigenen Designagentur – aber klar, dass er die Hardware anpacken will. Hier sah er größere Entfaltungsmöglichkeiten und die Chance, durch seine Ideen etwas zu verändern. Es folgten einige Jahre der Ideenschmiede und Familiengründung. Bei seiner Designagentur DasGelbeTrikot war der Name bereits Programm – oder andersherum? Doch dann sollte auch bald die zündende Fahrrad-Geschäftsidee um die Ecke fahren: Lastenräder begegneten ihm auf seinen Fahrten durch das dicke B immer häufiger und wurden längst nicht mehr nur von Kurierdiensten genutzt. Er selbst nutzte am liebsten sein agiles Rennrad, um sich in der Stadt fortzubewegen und will diese Beweglichkeit bis heute nicht missen. Für den Kindertransport hatte er einen Anhänger. So richtig das Wahre war das aber nicht. Zu indirekt der Kontakt zu Kind oder Ladung und zu lang und unbeweglich das Gespann. Überhaupt schien es doch eher ein rollender Kompromiss als eine wirkliche Alternative zum Auto zu sein. Und genau hier setzte die Gründungsidee von Sblocs an: Es brauchte ein kompaktes Cargobike, das sich dynamisch fahren lässt, Möglichkeit zur Kindsbeförderung bietet und diese mit einer abschließbaren, regendichten Transportbox kombiniert. Ein Commuterbike mit Kofferraum. Ein Lastenrad, mit dem man auch mal leer fahren darf, und welches dabei die Freude am agilen Fahrradfahren nicht vermissen lässt – das Prinzip Auto auf das Fahrrad übertragen eben.
Wir wollten ein Commuterbike mit Kofferraum bauen, das auch einen hohen Nutzen hat, wenn man es mal leer bewegt. Also quasi wie ein Auto, nur viel besser!
Als Mitstreiter war Marcus‘ Neffe Matti schnell gefunden, der schon immer den Radenthusiasmus des Onkels teilte. Mit ihm zusammen entwickelte Marcus Dittberner die Eckpfeiler der Sblocs-Idee: Ein agiles Lastenrad, das nicht länger als ein konventionelles Fahrrad und nicht breiter als ein Mountainbikelenker ist. Diese Maßgabe ergab sich aus gemeinsamen Beobachtungen des Marktes, der zu der Zeit noch von Long Johns und Christiania-Cargobikes dominiert wurde. Denn zwischen den weit ausladenden Long Johns und den zwar kompakten, aber in ihrer Manövrierfähigkeit eingeschränkten Christianias klaffte eine Lücke – ihre Lücke. Um diese bestmöglich zu füllen, galt es, sich das Vorhandene nicht nur anzueignen, sondern weiterzuentwickeln und natürlich auch Kompromisse einzugehen.
Die Boxen der Long Johns waren in ihrer Bauform bereits erprobt und ein gutes Vorbild für die eigene abschließbare Transportbox. Allerdings war auch sofort klar, dass man nicht – wie der lange Lastenradklassiker – einspurig bleiben kann, sondern auf eine doppelspurige Vorderachse – ähnlich dem Christiania-Bike – gehen muss, um mittels links- und rechtsseitig neben der Box positionierter Räder die gewünschte Maximallänge gewährleisten zu können. Da sich die dreirädrigen Cargobikes allerdings eher nur gemütlich fahren lassen und Marcus den Versuch, sie sportlich und über weite Strecken zu fahren, gerne schmunzelnd mit der Teilnahme an einem Schubkarrenrennen vergleicht, musste hier eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Lenkung her. Diese funktioniert bei Lastenrädern der Christiania-Bauart nämlich wie bei einem klassischen Ochsenkarren, und zwar nach dem Drehschemelprinzip. Hierbei hält man eine fixe Lenkstange in den Händen und ein Drücken nach links oder rechts resultiert in einer sofortigen, Drehung der Vorderachse in die jeweilige Richtung. Dies hat zwar eine direkte Lenkung zur Folge, erfordert jedoch auch – sobald etwas schwungvoller um die Kurve gefahren wird – die Überwindung gefährlicher Fliehkräfte von Fahrer*in und Ladung.
Das Herzstück
Und so entstand die Idee zur eigens entwickelten Pendel- und Neigeachse, dem heutigen Herzstück der Sblocs-Cargobikes. Sie sollte nach der Vorstellung der beiden Gründer Marcus und Matti die Drehschemelachse mit einer Neigetechnik kombinieren und dabei möglichst simpel gehalten sein. Eine Kombination dieser zwei Techniken sollte den Fliehkräften entgegenwirken, während die Lenkung weiterhin direkt bleiben und darüber hinaus noch natürlicher werden sollte.
Soweit die Theorie, aber wie sollten sie das jetzt umsetzen? Es musste ein Mensch vom Fach her und wie es der Zufall so wollte, war dieser mit einem Bekannten auch gleich gefunden: Harald ist Ingenieur, selbst Fahrrad-Freak und hat unter anderem an der MIT in Boston geforscht. Klingt nach dem richtigen Mann für den Job! Er machte sich dann daran, die bislang noch aus Papier bestehenden Modelle von Marcus und Matti, Wirklichkeit werden zu lass. Die eigene Pendel- und Neigetechnologie von Sblocs war geboren, welche bis heute im Berliner Hauptquartier gefertigt und montiert wird.
Mit dem Prototyp in den Getränkemarkt
Plötzlich deutet Marcus mit der Hand über unsere Köpfe und ich erblicke ein – gelinde ausgedrückt – kurios anmutendes Lastenrad, welches oberhalb vom Konferenztisch an der Wand hängt. Grob zusammengeschweißt und an ein Frankenstein-Bike aus den Untiefen des Internets erinnernd hängt dort ein dreirädriges Lastenrad bestehend aus einem lilafarbenen Retro-Mountainbikerahmen, einer Menge Schweißnähten und der eigenen Pendel- und Neigeachse.
Mithilfe dieses ersten Prototyps war es endlich möglich, zum einen die Lenkung in der Praxis zu testen und zu anderem ein weiteres wichtiges Thema auf Praktikabilität und Machbarkeit zu überprüfen: Während in der Gründungsphase um das Jahr 2016 die meisten Lastenräder auf eine maximale Zuladung von 100 kg setzten, rechneten Marcus und Matti von Beginn an in etwas kleineren Maßstäben. Ihnen war es in erster Linie wichtig, dass das Fahrrad ein Kind und natürlich entsprechend dem Prinzip eines Kofferraums auch größere Einkäufe und sonstige Ladung sicher und vor Witterungseinflüssen geschützt transportieren kann. Orientiert an dieser Mindestanforderung und der Tatsache, dass man herausgefunden hatte, dass der durchschnittliche Supermarkteinkauf in Deutschland 6,5 kg wiegt, hat man die Box des Prototyps vorerst nur für 40 kg ausgelegt. Ein Punkt, in dem sich die drei wahrlich nicht sicher waren, gab es diesbezüglich doch viele Zweifel von außen und auch bei ihnen selbst: Würde die Kapazität der Box ausreichen und im voll beladenen Zustand die gewünschten Fahreigenschaften des kompakten Cargobikes nicht beeinträchtigen? So groß die Zweifel waren, so groß war auch die Freude, nachdem die erste Testfahrt des Prototyps zum örtlichen Getränkemarkt sowie auch alle weiteren Testszenarien erfolgreich absolviert werden konnten.
Fertigung & Montage
Von diesem Punkt an hieß es, sich in der Cargobike-Szene zu positionieren und zu behaupten. Kontakte mussten geknüpft und Lieferketten erschlossen werden. Hierbei sei die angespannte Pandemiesituation der letzten Jahre nicht gerade hilfreich gewesen, erklärt mir Marcus. Dennoch hat man es inzwischen auf ein solides Level geschafft, bezieht die Rahmen für die Bikes nun aus einer Schweißerei in Polen, nachdem die erste Kooperation mit einer Schweißerei aus dem Berliner Raum gescheitert war, da man gegenüber den Auftraggeber*innen aus der Automobilindustrie ständig den Kürzeren zog. Der Bau der Vorderachsen und Kisten sowie die Endmontage der Bikes findet aber im Headquarter im Goerzwerk statt. Hier setzen sie auch individuelle Anfragen zum Beispiel für gewerbliche Kund*innen um und nutzen so ihre Möglichkeiten als Manufaktur, um auch auf speziellere Kund*innenwünsche eingehen zu können.
Die Geburtstunde des Sblocs calderas_2k
Auch wenn sie neben Mitbewerbern wie Chike, Muli oder Tern inzwischen nicht mehr allein im Segment der kompakten Cargobikes sind, erfreuen sich die wendigen Bikes aus Berlin wachsender Beliebtheit. So ist es in Zeiten gestörter Lieferketten fast eher ein Grund zur Sorge als zur Freude, wenn etwa der Spiegel auf die eigene Innovation aufmerksam wird und durch einen einzigen Beitrag für glühende Leitungen sorgt. Eine weitere Herausforderung konfrontierte die Sblocs-Macher, als ihre ersten Kund*innen ihr zweites Kind bekamen, aber nicht von ihrem geliebten Mobil abrücken wollten. Der Ruf nach einem kompakten Lastenrad, welches auch ein zweites Kind befördern kann, wurde lauter und Sblocs handelte: Das calderas_2k ermöglicht es, zwei kleinere Kinder oder ein größeres Kind in der Transportbox zu befördern und soll sich dabei genauso dynamisch fahren lassen wie das calderas_one. Ob dieses Versprechen eingehalten werden kann, soll ich wenig später herausfinden.
Meinen ausführlichen Fahreindruck und alle Details und Fakten zum calderas_2k von Sblocs findest du in unserem Porträt zum Bike.
Kompakte Lastenräder von Sblocs Bikes
Commuter-Linie
Cruise-Linie
Family-Linie
Sport-Linie
Und so geht es weiter
Wenn auch so vieles aktuell nicht sicher ist, ist doch eines ziemlich sicher: Sblocs ist bereit durchzustarten. Das Interesse an Lastenrädern im Allgemeinen, aber auch besonders an kompakten Lösungen ist groß und die praktischen Mobile fügen sich mehr und mehr ins Statbild ein. Aktuell kann man die Cargobikes von Sblocs nicht nur in der Berliner Manufaktur oder in ihrem Online-Shop erwerben, sondern auch bei etwa 10 weiteren Fachhändler*innen in Deutschland – und dabei allein soll es nicht bleiben. Für das Jahr 2022 plant man den Verkauf von etwa 300 Lastenrädern. Zukünftig sollen 50 % der Räder über Direktvertrieb, online und stationär, und 50 % über den Fachhandel den*die Besitzer*in wechseln. Ein Problem dabei, über welches wir noch kurz sprechen, ist die noch geringe Servicedichte für Lastenräder. Hier wäre etwa ein mobiler Werkstattservice eine smarte Lösung, wie es ihn in den Niederlanden bereits gibt, um jeden Lastenrad-Besitzer zu erreichen.
Und woher kommt der Name?
Bleibt zum Schluss nur noch eine Frage zu klären, die mir bereits seit Langem auf den Lippen brannte: Wie kam es eigentlich zu dem nicht gerade gewöhnlich klingenden Name Sblocs? Marcus‘ Lächeln bedeutet mir direkt, dass es einen emotionalen Bezug zum Namen geben muss – und so ist es auch: Der Markenname Sblocs (ausgesprochen Esblocks) wird eigentlich Schblocks ausgesprochen und stammt aus dem Rätoromanischen. Einer besonderen Sprache, die in einigen wenigen abgelegenen Orten in den Schweizer Alpen gesprochen wird. So zum Beispiel in Graubünden, einem persönlichen Sehnsuchtsort und beliebtem Reiseziel von Marcus.
Nach meinem Vormittag bei Sblocs bin ich vom Konzept der Räder und von Marcus‘ fünfköpfigem Team überzeugt und bin mir sehr sicher, dass wir hier schon bald die Erfolgsstory von Sblocs weiterschreiben können. Und wen der Besuch und meine Fahreindrücke neugierig gemacht hat, der kann sich entweder auf der Website des Herstellers über eine Probefahrt informieren oder unsere Website im Auge behalten, denn hier wird es bald einen ausführlichen Test zu einem der kompakten Sblocs Cargobikes zu lesen geben.