Das neue Orbea Kemen 10 im Test: Wie ein Wolf im Schafspelz kommt das neue Commuter-E-Bike der baskischen Kultschmiede daher. MTB-Geometrie trifft auf eine alltagstaugliche Ausstattung, sinnige Detaillösungen und Shimano EP8-Motor. Wie sich dieses Gesamtpaket im Alltag schlägt, haben wir im Test herausgefunden.
Steckbrief: Orbea Kemen 10
Einsatzbereich | Urban, Commute |
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Rahmenmaterial | Aluminium |
Motor | Shimano EP8 |
Akkukapazität | 540 Wh |
Gabel | Aluminium |
Gewicht (o. Pedale) | 21,8 kg |
max. Systemgewicht | 130,0 kg |
Rahmengrößen | S, M, L, XL (im Test: L) |
Besonderheiten | Tagfahr- & Bremslicht, Vario-Sattelstütze, Carbon-Look |
Website | www.orbea.com |
Preisspanne | 3.999 - 4.799 |
„The Mountainbikers Commuter Bike“ hätte Orbeas Werbeslogan zum neuen Kemen auch lauten können. Denn was der Ausstattung nach zu urteilen klar in die Kategorie Trekking/Commuter fällt, kommt außerdem mit sportlich-komfortablen Rahmen, der in Design und Geometrie stark von Orbeas Mountainbikes inspiriert ist. Und es finden sich weitere Features, die sich sonst an Mountainbikes bewähren, am Kemen 10, wie zum Beispiel eine höhenverstellbaren Sattelstütze und eine Luftfedergabel von FOX. Der 85 Nm starke EP8-Motor von Shimano wird am Kemen mit einem vollständig integrierten 540 Wh-Akku kombiniert. Durch die Integration des Akkus entsteht ein sehr schlank anmutender Rahmen, der glatt als konventioneller MTB-Rahmen durchgehen könnte. Durch die Integration des Akkus und den relativ leichten Motor kommt das Testbike in Größe L auf ein Gewicht von unter 22 kg, was vergleichsweise wenig ist für ein Bike dieser Kategorie mit Federgabel.
Im Detail
Die schlanke Optik des Rahmens wird durch die geschliffenen Schweißnähte nochmals verstärkt. Würde man es nicht besser wissen, könnte man glatt davon ausgehen, dass es sich beim neuen Orbea E-Bike um einen Carbonrahmen handelt. Und die Verarbeitung des moosgrün lackierten Rahmens lässt auch neben dem Carbon-Look keine Wünsche offen: Die Leitungen sind allesamt innen verlegt – auch die Leitung der Vario-Sattelstütze.
Oberhalb des Steuerohrs haben die Konstrukteure von Orbea ein Tagfahrlicht auf besonders geschickte Art und Weise in die Kappe des Steuersatzes integriert. Dieses ist immer angeschaltet und das wahrscheinlich coolste optische Alleinstellungsmerkmal des Kemen, neben den geschmeidigen Übergängen des Aluminium-Rahmens. Das Kemen verfügt über eine Luftfedergabel von FOX vom Modell 34 Float AWL. Diese ist erst seit diesem Jahr erhältlich, stellt 100 mm Federweg bereit und kombiniert FOX Float Federungsperformance mit neuesten Features wie Schutzblech- und ABS-Aufnahmen.
Das Orbea Kemen kommt in zwei Ausstattungsvarianten, dem Kemen 10 und Kemen 30. Das 30er-Modell verfügt über den selben Motor und Akku wie das von uns getestete Topmodell, hat aber ansonsten in fast allen Punkten schwächere Komponenten zu verzeichnen und eine starre statt eine Vario-Sattelstütze. Beide Modellvarianten sind unter dem Zusatz Mid ebenfalls mit einem Trapez-Rahmen erhältlich. Außerdem hat das Kemen noch einen etwas geländegängigeren Bruder, das Kemen SUV. Dieses kommt in erster Linie mit grobstolligeren Reifen und einem stärkeren Gepäckträger, was es auch als Freizeit- und Reiserad qualifiziert.
Ausstattungs-Highlights
- Motor / Akku Shimano EP8 / Orbea Internal 540 Wh
- Gabel Fox 34 Float AWL 100 RAIL
- Antrieb & Schaltung Shimano XT 11-Gang-Kettenschaltung 11-50t
- Beleuchtung Orbea Tagfahrlicht am Steuerrohr, Lezyne Super HB StVZO 1000 Frontscheinwerfer & Lezyne Fender StVZO Alert Technology Rücklicht
- Bremsen Magura MT5 E-STOP
- Laufräder Orbea OC1 25c Tubeless Ready
- Reifen Schwalbe G-ONE Allround, 29×2,25, Performance Line RaceGuard, TLE, Reflective
- Sattelstütze OC Mountail Control MC20 Vario-Sattelstütze
Wie Eingangs bereits erwähnt, ist das Bike mit einigen sinnvollen Ausstattungsmerkmalen gespickt. Angefangen mit der FOX 34 Float AWL Luftfedergabel, die sich präzise auf das gebotene Anforderungsprofil einstellen lässt und stets für smoothes Abfedern von unvorhergesehenen Schlägen sorgt. Ein weiteres Highlight sind die Magura MT5 E-STOP-Vierkolbenbremsen, die erstaunlichen Biss zeigten in jeder noch so brenzligen Fahrsituation. Im Wortsinne herausragend jedoch ist die Vario-Sattelstütze, die sich per Lenker-Remote in der Höhe verstellen lässt und an einem Commuter-E-Bike deutlich mehr Sinn macht, als man es im ersten Moment vermuten könnte, aber dazu später mehr.
Beispielloses Beleuchtungs-Setup
Der Scheinwerfer von Lezyne ist unauffällig und praktisch vor dem Vorbau angebracht und strahlt mit 600 Lumen ins Dunkle. Per Lenkerfernbedienung lassen sich weitere 400 Lumem mit dem Fernlicht hinzuschalten, was auf unbeleuchteten Straßen und Feldwegen deutlich mehr Sicht und Sichtbarkeit bedeutet. Das Rücklicht kommt ebenfalls von Lezyne, ist am hinteren Schutzblech angebracht und verfügt über ein zuverlässiges Bremslicht. Dies zählt in dieser Klasse zwar noch nicht zum Standard, ist in der Stadt jedoch eigentlich unabdingbar – egal ob tags oder nachts.
Doch das heimliche Highlight bei der Beleuchtung des Kemen ist das unauffällig in den Steuersatz integrierte Tagfahrlicht. Dieses leuchtet permanent mit 60 Lumen und ist besonders bei schlechten Witterungsverhältnissen oder häufig wechselnden Lichtverhältnissen am Tag besonders praktisch.
Pannenfrei dank schlauchloser 29er-Reifen
Der Gepäckträger am Orbea Kemen ist eine Eigenkonstruktion der Basken und kommt mit nur zwei Anschraubpunkten am Rahmen oberhalb der Hinterachse aus. Er bildet mit dem verbundenen Schutzblech eine Einheit und weist eine Traglast von 18 kg auf, was für das meiste Gepäck im Alltag ausreicht, jedoch unterdurchschnittlich ist. Wer hier mehr brauch, sollte auf das Kemen SUV zurückgreifen, dessen Gepäckträger nochmals 10 kg mehr Traglast bietet.
Das Orbea Kemen rollt auf 29-Zoll-Laufrädern der Eigenmarke. Diese sind Tubeless Ready und haben schlauchlose Schwalbe G-One-Reifen in 2,25er Breite montiert, was absolut kein Standard in dieser Klasse ist, aber unglaublich viel Sinn macht, denn es gibt praktisch kein pannensichereres Reifen-Setup als schlauchlos montierte Reifen mit Dichtmittel, welches Durchstiche noch während der Fahrt abdichtet.
Im täglichen Einsatz
Im alltäglichen Einsatz des Orbea Kemen 10 ist uns vor allem das vergleichsweise geringe Gewicht für ein Bike dieser Klasse positiv aufgefallen. In Kombination mit der effizienten Mountainbike-Geometrie macht es sich nicht nur auf Tragepassagen, sondern vor allem auch im allgemeinen Handling bei Richtungswechseln und an steilen Bergen bemerkbar. Große Freude bereitet hat uns die Luftfedergabel von FOX, die sich nicht nur perfekt auf Fahrer oder Fahrerin abstimmen lässt, sondern auch ein großes Komfort-Plus darstellt, vor allem im beladenen Zustand. Die Schlankheitskur des Kemen bedeutet allerdings auch, dass der vergleichsweise kleine Akku fest im Rahmen verbaut ist und somit fürs Laden nicht herausgenommen werden kann. Wer also sein Bike nicht zur Steckdose fahren kann, muss es dorthin tragen. Life Hack: In unserem Fall hatten wir darauf nicht täglich Lust und haben uns mit einer kompakten Powerstation beholfen, die wir gemeinsam mit dem Bike vor der Haustür abgeschlossen haben.
Spritzig und leichtfüßig
Ein weiterer Pluspunkt des Kemen ist seine Spritzigkeit, die nicht nur im relativ geringen Gewicht, sondern vor allem auch in der Antriebswahl begründet ist. Denn die verbaute 11-fach-Gangschaltung mit einer Bandbreite von 11-50 Zähnen harmoniert wunderbar mit dem Trail-Modus des EP8-Motors, der die automatische Hinzugabe von Support sehr natürlich dosiert, und sorgt dafür, dass in jeder Situation – auch an steilen Anstiegen – der richtige Gang parat steht. So macht mit dem Kemen auch ein sportlicher Fahrstil richtig Spaß. Wenn das Ende vom Akku einen einmal überrascht, lässt sich das Kemen erstaunlich gut nach Hause treten. Hier kommen die Entfaltung und der nicht vorhandene Drag der Kettenschaltung sowie der nur sehr geringe Drag des Motors zum Tragen. Dieser schaltet übrigens auch sehr smooth oberhalb der 25 km/h-Grenze ab, sodass man es fast nicht mitbekommt, dass man wieder im Bio-Bike-Modus fährt.
Sicherheit & Komfort durch Vario-Sattelstütze
Großen Einfluss auf den Komfort des Bikes hat auch die ab Werk verbaute Vario-Sattelstütze. Den Sattel auf Knopfdruck so weit absenken zu können, dass er nicht mehr im Weg ist, macht längst nicht mehr nur auf technischen MTB-Abfahrten Sinn(, was mit dem Kemen übrigens erstaunlich viel Spaß bringt und mit seinem grobstolligen Bruder wahrscheinlich sogar noch mehr). Während des Tests gab es zahlreiche Situationen, in denen wir die Stütze ganz instinktiv abgesenkt haben. Sei es etwa an der Ampel oder beim Auf- und Absteigen mit montiertem Anhänger. Doch das ist nicht die einzige Stärke, die eine Vario-Sattelstütze an einem Stadt- oder Lastenrad ausspielt. Denn sie senkt nicht nur den Sattel, sondern auch die Hürde, sich ein Bike zu teilen. Ständiges Aufschrauben der Sattelklemme und Einstellen der Sattelhöhe ist bei verschieden großen Fahrer:innen damit passe und passiert ganz locker flockig während der Fahrt.
Ungedrosselte Power & Reichweite
Sowohl das Kemen als auch das Kemen SUV kommt mit Shimanos EP8-Motor mit seinen 85 Newtonmetern Drehmoment. Im Gegensatz zu anderen E-Bikes von Orbea, wie dem Rise oder dem Urrun, ist der Motor beim Kemen mit der Standard-Motorsoftware versehen und kommt so mit seiner ungedrosselten Power. Das hilft nicht nur bei steilen Anstiegen, sondern auch beim Transport von Gepäck oder dem Ziehen von Anhängern. Wir haben es mit einer Akkuladung kumuliert häufig auf bis zu 100 km und rund 1400 hm in hügeligem Gefilde im Trail-Modus geschafft, was sehr ordentlich ist für ein so schlankes Rad.
Das ist uns aufgefallen
- Sattelstütze Eine Vario-Sattelstütze gehört an jedes Bike und nicht nur an Mountainbikes!
- Fahreigenschaften Das Orbea fährt sich enorm agil und spritzig – da kommt Laune auf!
- Tubeless ftw Dass Laufräder und Reifen Tubeless Ready sind, ist alles andere als Standard in diesem Segment (wieso eigentlich?!) und bescherte uns einen pannenfreien Testzeitraum.
- Anschraubpunkte Wie es bei einem MTB bereits Standard ist, kommt das Kemen mit zwei Anschraubpunkten für Flaschenhalter oder sinnvolles Zubehör wie Faltschlösser oder den optional erhältlichen Range Extender
- Tagfahrlicht Es ist nicht so, dass uns nicht auch das Bremslicht oder das starke Fernlicht positiv aufgefallen sind. Das Tagfahrlicht finden wir nur noch viel cooler.
- Klingel Das Kemen kam ohne Klingel, die zur Grundausstattung eines jeden Fahrrads zählen sollte
- Platzmangel Im Inneren des Rahmens ballten sich die verlegten Züge teilweise so sehr, dass sie sich nicht bewegen ließen, etwa beim Herausziehen der Sattelstütze
- Akkuanzeige Die Akkuanzeige des Shimano EP8-Motors verzichtet auf Prozentangaben und bietet so etwas viel Interpretationsspielraum
Fazit – Orbea Kemen 10
Das Orbea Kemen 10 dürfte nicht nur eingeschfleischten Mountainbikern ein Grinsen aufs Gesicht zaubern. Seine makellose Optik, hochwertige Ausstattung und sportliche Geometrie lassen das Herz eines jeden Fahrrad-Enthusiasten höher schlagen. Orbea hat gerade bei Ausstattungsdetails wie der Vario-Sattelstütze und dem Tagfahrlicht Köpfchen bewiesen und setzt damit neue Sicherheits- und Komfort-Maßstäbe im Commuter- und SUV-Bereich. Mit diesem Bike fühlt man sich für jede Situation im Urban Jungle gewappnet. Kemen leitet sich übrigens aus dem Baskischen ab und bedeutet so viel wie Mut, Courage – passend!
Pro / Contra
Stärken
- Sportliche Geometrie und daraus resultierendes direktes Handling
- Neue FOX 34 Float AWL Federgabel
- Vario-Sattelstütze
- Spritziger Antrieb
- Geringes Gesamtgewicht
- Alurahmen mit Carbon-Optik
- Tagfahr-, Brems- und Fernlicht
- Laufräder und Reifen sind Tubeless Ready
- Vorbereitet für Montage eines 252 Wh-Range Extenders im Flaschenhalter
Schwächen
- Integrierter Akku lässt sich zum Laden nicht herausnehmen
- Überdurchschnittlich hoher Preis
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