Zwischen Zeche und Halde passt immer noch ein Gravel-Fest, genauer gesagt Europas größtes Gravel Festival. Über 10.000 Besucher zählten die Veranstalter der Schwalbe Gravel Games am Wochenende. Der Mix aus einzigartiger Industriekultur im Ruhrgebiet und Gravel-Rides und-Rennen zieht Schotter Fans in „den Pott“. Der eine oder die andere dürfte sich gewundert haben, wie gut und grün es sich dort Graveln lässt. Wir auch. Hier die zugehörige Fotostory und die Ergebnisse der Rennen.
Erst der Regen, dann das Vergnügen
„Das Ruhrgebiet ist auch bei Regen schön“, ist die erste Lehre aus dem Besuch der Gravel Games 2022 am Samstag – noch bevor auch nur ein Fuß den Boden im Schatten der Türme von Zeche Ewald berührt. Auf ehemaligen Bahntrassen mit Namen wie Nordbahntrasse, Kohlentrasse und Erzbahntrasse hat mich der Weg mit dem Gravel Bike ins Ruhrgebiet geführt. Vorbei ging es an jeder Menge Kiosken, berühmten und heute geradezu inszenierten Industriedenkmälern wie der Jahrhunderthalle in Bochum und sogar über schmale Trails unter Brücken und über Halden.
Bedanken kann ich mich für diese erste Pre-Gravel-Games-Erfahrung an drei Stellen: Erstens bei der Deutschen Bahn. Denn es dauert länger, die 55 km (Radstrecke) mit dem Zug von Wuppertal zum Gravel Games Hotspot Herten zu fahren als nach Frankfurt am Main (180 km). Zweitens, bei Supernatural, weil der Hersteller nachhaltig produzierter Kleidung einen Mitmachwettbewerb zur Anreise per Bike ausgerufen hatte. Hier war ich von vorneherein chancenlos, denn jemand aus Österreich hatte sich angekündigt. Gewonnen hat dann aber Kilian Wagner aus Dortmund. Er fuhr in 48 Stunden unglaubliche 802 Kilometer auf seiner Runde zwischen Rhein, Ruhr und Lippe. Und drittens gilt der Dank für meine Mini-Abenteuer-Anreise Komoot als Portal für die Streckenplanung (die kleinen, feinen Umwege über die Trassen musste ich dem Planungs-Algorithmus aber großteils erst nahelegen).
Ein Schwalbe macht noch keine Gravel Games
Bevor ich auf das ehemalige Zechengelände in Herten einbiege, bekomme ich noch einmal modernen Ruhrgebiets-Vorortsbrei in Reinkultur serviert. Dafür treffe ich aber gleich mehrere Leidensgenossen, die auch mit dem Gravel Bike anreisen. Später erfahre ich von anderen Gravellern, dass die Erzbahntrasse beinahe direkt vor die Haustür führt. In jedem Fall erscheint es mir lohnend, sich nächstes Mal einem der zahlreichen geführten Rides anzuschließen, die von lokalen Guides geführt werden.
Die Vorfahrt am Zechengelände der Zeche Ewald in Herten imponiert dann schon allein wegen der schieren Monumentalität der Bauten. Gegenüber den Zechentürmen wirkt der Bogen von Sponsor Schwalbe wie aus einer Modelleisenbahn-Anlage hierhin verfrachtet. Mein Bike schließe ich schnell bei Schlosshersteller Axa in einem umzäunten Areal an. Auf dem großen Gelände zwischen der hohen Abraumhalde und den hohen Industriebauten hat Schwalbe erkennbar die größte Bühne, auf der sich im Laufe des Tages die Gäste „die Klinke in die Hand geben“.
Direkt daneben berät Wippermann aus dem unweit liegenden Hagen zur richtigen Kettenwahl und bietet Schrauberdienste an (persönliche Entdeckung hier: ein fein transportabler Kettennieter). Bei DT Swiss können Gravel Biker*innen ihre Laufräder kostenlos zentrieren lassen und an der mobilen Café-Ape von Trek Segafredo gibt es Capuccino – einen von vielen sehr guten auf den Gravel Games. Außerdem finden sich unter den 50 Ausstellern noch zahlreiche Gravel Bike-Hersteller und Bikepacking-Taschen Produzenten. Der Fokus stimmt.
Als ich ankomme, erzählt auf der Schwalbe Bühne gerade Ex Tour de France-Fahrer Paul Voß, wie es mit dem Graveln für ihn begann. Nämlich eigentlich mit dem Cyclocross-Fahren, das er schon seit jeher mochte. Und noch heute kann er den schmalen Reifen und den engen Kurven noch einigen Spaß abgewinnen, wie er sagt. Es müssen nicht immer 200 km härtester US-Gravel wie beim Unbound Gravel Rennen sein, entnehme ich den Worten des Ex-Profis, der inzwischen hauptberuflicher Gravel Rennfahrer ist. Es darf auch mal Berliner Sand sein.
Rose German Gravel Masters
Oder Hertener Haldengeröll. Denn das steht bei den „Rose Gravel Masters powered by Schwalbe“ auf dem Programm, für das sich weitere Ex-Radprofis angekündigt haben. Unter anderem ist Marcel Kittel am zweiten Gravel Games Tag, dem Sonntag, bei der Premiere dieses Gravel-Rennformats am Start. Die Strecke führt siebenmal auf einer 7 Kilometer langen Runde auf die 152 m hohe, benachbarte Halde Hoheward. Mit 104 Teilnehmer*innen wird das erste echte Gravel-Rennen mit Zeitnahme das Highlight der Schwalbe Gravel Games 2022. Gewinnen kann oder will Kittel, der inzwischen entspannt für Rose fährt, das Rennen nicht. „Der Kurs mit den rund 90 Höhenmetern liegt mir zwar als Sprinter nicht so optimal, aber ich habe sehr viel Spaß auf der Strecke gehabt“, sagt Marcel Kittel später. Erfolgreich verläuft das Rennen für Stefanie Dohrn und Sebastian Breuer: Die beiden Gravel-Cracks siegten bei der Premiere des Rose German Gravel Masters.
Rondo Gravel Eliminator
Ich habe mir den Samstag zum Rennen schauen „geblockt“. An dem Tag stellt der Rondo GravelMinator powered by Plaztzangst den sportlichen Höhepunkt dar, jedenfalls, wenn man unter Sport nur solche Gravel-Events versteht, bei denen die Lunge brennt. Ähnlich wie einem Cyclocross-Rennen haben die Organisatoren hier einen rund 600 Meter langen Kurs mit vielen engen Kurven und etwas weniger Hindernissen auf dem Zechengelände abgesteckt: unter ehemaligen Industriebauten hindurch, über eine Wiese und sogar etwas Asphalt zum Erholen ist dabei. Der Unterschied zum typischen CX-Rennen: Jede Runde scheidet der oder die Letzte am Zielstrich aus.
In dem Mix aus Bahn-Wettbewerb und Querfeldeinrennen wird deshalb besonders auf den hinteren Plätzen hart gekämpft. Dass dabei der eine oder andere an den Hindernissen hängen bleibt, tut keinem weh. Die Geschwindigkeiten sind angesichts der vielen Kehren, Windungen und des weichen Bodens nicht wesentlich höher als bei einem Lauf. Hinterher japsen alle, aber sagen trotzdem, dass sie es noch mal machen würden. Und es gibt mehrfach die Einsicht, dass der typische Gravel Semi-Slick auf einer zerfahrenen Wiese nicht die optimale Reifenwahl ist. Am Ende verteidigt hier Stefan Schott (Team 8bar) seinen „Titel“ aus dem Vorjahr – beste Frau war Lea Stegmaier (SportsNut).
Am Lagerfeuer mit den Sporting Women
Mit Marianne aus Brüssel unterhalte ich mich noch über Gravel- und Cross-Rennen. Sie führt selber Gravel Touren in der europäischen Hauptstadt und findet den Mix aus Ruhrpott-Charme und Rennen bei den Gravel Games ziemlich einzigartig. Während sie zusammen mit der späteren Gewinnerin das kleine Frauen-Peloton beim GravelMinator bildete, ist der Anteil Frauen, die ein Gravel Bike durch die Expo Area schieben, gefühlt fast genauso hoch wie an Männern – keinesfalls typisch für Rennrad-Events. Und als der milchige Schimmer, der die Sonne erahnen lässt, hinter dem Backstein-Koloss verblasst, geht am Stand der Sporting Women das Lagerfeuer an. Hier gibt es „Bikepacking-Garn“ zum Ausklang eines leicht nassen, aber doch ziemlich fröhlichen Tages.
Ach ja, und zurück hatte ich eine Mitfahrgelegenheit, großes Danke an Finnbar Trout Cycles – von denen es im 2. Teil des Berichts mit den Gravel Bikes der Gravel Games auch Spannendes zu sehen gibt.
Rose German Gravel Masters Ergebnisse
Nächstes Jahr wird die Zeche Ewald am letzten Wochenende im September (23./24.09) wieder im Zeichen des Gravelbikes stehen. Interessant?